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Notizen über den Österreicher
Ein älterer Herr trat in einen Wiener Elektroladen, um Batterien für seinen Radioapparat zu erwerben. Außerdem suchte er nach einer kleinen Spezialzange. Diese wurde ihm vom Verkäufer mit den Worten vorgelegt: „ Das ist eine sehr gute Zange. Die hat noch nie jemandem etwas getan." Als der alte-re Herr sich nun bemühte, die Batterien einzupassen und nicht damit zurande kam, nahm ihm ein Nebenstehender den Apparat aus den Händen und brachte das verzwickte Kunststück schnell zustande. „Gewußt wie", sagte er und lehnte jeden Dank ab.
Eine kleine Alltagsszene. Der Verkäufer hatte Freude am Wortspiel, der Helfer beim Radio aber fand seine Hilfe ganz selbstverständlich. Beide hatten's nicht eilig, beide nahmen sich nicht Zeit, sondern hatten sie, und scheuten sich nicht, sie mehr oder weniger spielerisch zu verwenden. Der eine in Worten, der andere im Tun - man kann darin etwas wie einen Nachschimmer des Barock sehen, das sich wie selbstverständlich dem Besseren hingab. Und man findet es noch in den unbeholfenen Schnörkeln wieder, die örtliche Verordnungstafeln schmücken. Spielfreude ist mit Lebensfreude nahe verwandt.
„Ich bin dumm, ich bleib' in Wien", sagte vor einiger Zeit ein bedeutender Schriftsteller am Stammtisch, nachdem er die Chancen ausschweifend erörtert hatte, die ihm in Deutschland offenstanden.
Er hätte seinen Lebensstandard wesentlich verbessern können, er hätte es „zu etwas bringen können". Aber nein, er blieb in Wien. „Ich bin dumm", sagte er voller Erkenntnis; es tat ihm gut, das zu wissen, denn diese Art Dummheit findet bei Weisen immer noch Anwert. Vom rein Materiellen her betrachtet, war er dumm - aber wenn man an höhere Werte dachte?
Wollte man nach den rationalen Gründen forschen, die den Österreicher an Österreich binden, so käme man vielleicht nicht weit. Gewiß: die Landschaft ist meist herrlich, aber daneben gibt es auch ganz öde und abgetakelte Gegenden - und „Schön ist es auch anderswo und hier bin ich sowieso!" Historisch gesehen mag heute noch das stumme Einverständnis spürbar sein, das einst die wild durcheinander gemischten Völker miteinander verband, die, jedes für sich, wenig, aber alle zusammen eine Macht bedeuteten. Und der liebenswürdige Tonfall? Das kann täuschen. Eine ungesprochene Maxime lautet: Lieber herzlich als hilfreich. Die Höflichkeit schlägt mitunter rapid in saftige Schmähungen um.
Zum Beispiel wird gern erzählt, wie ein Mann in einem Ministerium verzweifelt nach der Tür zu einem Amtszimmer sucht, worauf ein Diener ruhig sagt: „Aber gehen Sie doch hier hinein, auf der Tür steht eh' .Eintritt verboten' drauf." Soweit sehr gut, aber es gibt keine Gewähr dafür, daß der Mann hinter der verbotenen Tür der gleichen Ansicht ist.
Wahrscheinlich wird er den Gast höflich empfangen und seine Entschuldigung weltmännisch abwehren. Jedoch könnte es auch geschehen, daß er unwirsch reagiert, und dann ist der Augenblick gekommen, wo aus den beiden friedliebenden Österreichern Kampfhähne werden.
Andererseits kennt ein Österreicher kaum eine größere Sorge, als „Scherereien" zu vermeiden, worunter eben Auftritte und Beschwerden fallen. Das geht so weit, daß sich die Reisenden im Zug voneinander alles Erdenkliche gefallen lassen, nur weil sie den Mitreisenden nicht Anstoß geben wollen. Oder, wie ein boshafter Beobachter behauptet hat, weil sie ihr eigenes Bild als das eines weltläufigen Menschen nicht zu trüben wünschen.
Eine Bitte abzuschlagen fällt ihnen schwer. Lieber werden Ausflüchte gebraucht, lieber der Bittsteller kunstvoll auf spätere Termine vertröstet.
Damit nähern wir uns einem Umstand, der vieles zur Erklärung vom angenehmen Dasein in Österreich beiträgt. Die Leute wollen sich und einander das Leben nicht schwer machen. Diese Rücksichtnahme, mag sie nun echt sein oder nicht, tut wohl. Sie ist gepaart mit einer oft unverständlich scheinenden Gleichgültigkeit. Man läßt den Nachbarn seines Weges gehen; möge er uns selber auch in Ruhe lassen!
Es ist nun einmal so, daß man gewisse Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen muß, und man tut es hier nicht ungern, wenn auch vielleicht schrecklich raunzend. Der Gasthof in den Wäldern hat halt kein Bad, aber der Wirt brät delikate Rebhühner. Und weit und breit ist nichts als singender Waldduft, kein Garagenhochbau und keine Verkehrsregelung.
Der Landgendarm kommt zutraulich heran, wenn er sich hierher verirren sollte. Man versteht einander ohne viele Worte; man ist der Welt dankbar, daß es sie gibt. Und da sollte einer nicht dumm sein und in Österreich bleiben?
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