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Nur ein einfacher Jude
Da stand er nun, auf einem ganz gewöhnlichen Stein mit ausgebreiteten Armen, sparsam gestikulierend. Irgendwie war ich enttäuscht. Sein Gesicht war eigentlich sehr einfach, ein ganz gewöhnliches Gesicht. Der Bart hing wirr von seinem Kinn, und die Haare fielen in unregelmäßigen Strähnen vom Kopf.
Nur die Nase fiel mir auf, sie war prägnant, genauso wie seine
Augen, aber sonst sah er aus wie du und ich.
Das also war dieser selbsternannte Messias, dieser Rabbi, dieser Exzentriker mit seinen verrückten Ideen?
Gott teilte sich durch menschliche Sprache mit, hätte er das nicht getan, wäre er nicht!
Eigentlich sprach er ganz ruhig. Nicht so wie unser Rabbi im Dorf, der immer gleich aufbraust und dann wild herumschreit. Manchmal aber schrie auch jener die wenigen um ihn versammelten Frauen und Männer an, daß sie erschrocken zusammenzuckten.
Er steigerte sich dabei in etwas hinein, um dann wieder unvermittelt zu schweigen und in sich gekehrt still dazusitzen. Wenn er so sprach und rot im Gesicht wurde, war er mir richtig unheimlich, besonders auch deshalb, weil er dann mir so Unverständliches sprach.
Am meisten griff er die Pharisäer an, diese von meiner Mutter immer als Vorbilder hingestellten Juden. Er bezeichnete sie jedoch als Lügner vor Gott. Eigentlich stellte er alles in Frage, was mir damals natürlich besonders gut gefiel, weil ich j a noch so jung war.
Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen (Goethe).
Ich bin nur ein einfacher Jude, ich faste regelmäßig, bete und halte die Gebote soweit wie möglich ein. Früher aber wollte ich edles ändern. Deshalb hörte ich auch diesem Jesus so gerne zu.
Einmal sagte mir jemand, daß dieser Rabbi aus Nazaret auch Wunder vollbracht haben soll. Meine Mutter glaubte es aber nicht, als ich ihr das erzählte und bezeichnete ihn als Spinner und Eigenbrötler.
Später verbat sie mir, seine Reden auf diesem Hügel anzuhören, denn was sollten den die Nachbarn von uns denken, meinte meine Mutter. Vor allem jetzt, wo er sich diesen ifxzeß im Tempel erlaubt hatte.
Und zum anderen hielte er sich nicht an die Schrift, sagte meine Mutter.
Man kann nicht die Irrtümlichkeit der Schrift propagieren! (Kardinal König)
Später hörte ich, daß er gekreuzigt worden sein soll.
Die kursiv gedruckten Zitate fielen im Laufe des Seminars in Salzburg (24. bis 26. März 1987).
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