Allerseelen - und das ewige Leben
"Wohin gehe ich?". Eine Frage, es scheint, als fände man innerhalb des aktuellen Zeitgeistes hier schwerer eine Antwort als in anderen Epochen.
"Wohin gehe ich?". Eine Frage, es scheint, als fände man innerhalb des aktuellen Zeitgeistes hier schwerer eine Antwort als in anderen Epochen.
Kürzlich ist mir die Geschichte von den zwei Mönchen wieder in die Hände gefallen, die sich ihren Tod und das "Leben danach“ auszumalen versuchten. In großer Unsicherheit, trotz ihrer Glaubenstiefe und Bibelkenntnis. Also versprachen sie einander, dass derjenige, der zuerst sterben sollte, dem anderen im Traum und in aller Kürze sagen sollte, wie es im Paradies tatsächlich aussieht. Entweder "taliter“ (so wie vermutet) - oder "aliter“ (anders). Nachdem der Erste gestorben war, erschien er dem anderen des Nachts und sagte: "Totaliter aliter“ (es ist total anders).
Verdrängung der Sterblichkeit
Die Tage um Allerseelen holen uns Jahr für Jahr kurzfristig aus den gut eingespielten Verdrängungen unserer Sterblichkeit. Unser Altern tut ein Übriges - und die damit steigende Frequenz von Begräbnisbesuchen. Seit ich weiß, dass das schöne "Näher, mein Gott, zu Dir“ das letzte Lied der Bordmusik auf der "Titanic“ war, hat sich zudem ein kleiner Eisberg vor die Freude einer Gottesbegegnung geschoben.
Ganz unbestreitbar leisten die Kirchen einen enormen Beitrag zur Trauerarbeit. Dennoch spüre ich, wie auch Priester, die Verstorbene auf dem letzten Weg begleiten, von der Gratwanderung zwischen Trauer und Hoffnung, Abschied und Heimkehr überfordert werden.
Tatsächlich sagt uns die Bibel wenig Genaues über das Kommende - viel weniger jedenfalls, als unser Trostbedürfnis ersehnen würde. Erschwerend ist zudem, dass wir auf keine Erfahrungsberichte zurückgreifen können - und dass die großen Jenseits-Visionen meist aus Sprach- und Bildwelten kommen, die uns fremd geworden sind.
Zwei Entwicklungen haben der Frage "Wohin gehe ich?“ zusätzlich Brisanz verliehen: zum einen die Todes-Verdrängung unserer "Frischwärts-Gesellschaft“; zum anderen der fortschreitende Verlust an Jenseits-Glauben, der sich sogar in kirchlichen Kernschichten eingenistet hat. Damit aber ist die Konfrontation mit dem unausweichlichen Ende noch abrupter geworden.
Es ist gar nicht so lange her, da mussten sich unsere Vorfahren mit weit weniger Lebenserwartung zufriedengeben. Dafür aber war ihr Denken von der Gewissheit eines ewigen Lebens geprägt, die inzwischen vielen Menschen verloren gegangen ist. Ihnen bleibt heute eine weit kürzere Perspektive als einst - und ihre Existenz beschränkt sich auf das zwischen Geburt und Tod eingezwängte bisschen Leben.
Einübung in die Sterblichkeit
Vielleicht also ist es gerade um Allerseelen sinnvoll, sich an die "Kunst des Sterbens“ zu erinnern, die in unseren Klöstern fortlebt und die dem Tod viel von seinem Schrecken nimmt. Aller Übergang ist gleitend, sagen die Mönche. Denn Sterben beginnt ja nicht erst am Lebensende - jeder Tag verlangt nach Einübung in die Sterblichkeit; ganz unpathetisch, aber konsequent. Lange habe ich dahinter ein Defizit an Lebensfreude vermutet - heute beneide ich die Mönche um ihre größere Gelassenheit angesichts des Unvermeidlichen.
"Geburt, des Todes Anfang. Tod, des Lebens Anfang“: Welch eine geistige Provokation - zu Allerseelen und überhaupt.
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