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Preisgegeben dem Verfall?

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Abbröckelnde Fassaden, häßliche Anbauten und störende Abbrüche einzelner Trakte haben es nicht zuwege gebracht, dem Alten Universitätsviertel um den heutigen Dr. Ignaz-Seipel-Platz das Attribut „schönster und geschlossenster Platz Wiens“ zu nehmen: zu stark, zu dominierend ist die ursprüngliche Substanz. Jetzt ist überdies Architekt Friedmund Hueber dabei, das Areal würdig zu präsentieren.

Vorgesehen war für die Generalsanierung des mehr als hundert Jahre vernachlässigten Komplexes eine Bauzeit von rund zehn Jahren. Als Folge der emp-

findlichen Sparmaßnahmen der Koalitionsregierung gerade auf dem Bausektor wird sie um einiges länger dauern.

Begonnen hat Hueber mit der Universitätskirche (früher Jesuitenkirche). Angesichts der für 1990/1991 projektierten Feierlichkeiten im internationalen Rahmen sollte die zwischen 1703 und 1705 von Andrea Pozzo umgebaute Kirche zu diesem Zeitpunkt komplett restauriert sein: Jährt sich doch 1990 zum vierhundertfünfzigsten Mal der Bestand der Gesellschaft Jesu; zudem wird 1991 der 500. Geburtstag des Ordensgründers Ignatius von Loyola gefeiert.

Hueber fürchtet, den Termin nicht einhalten zu können, da er beispielsweise allein heuer statt der vom Bautenministerium zugesagten 25 Millionen Schilling lediglich zehn Millionen erhalten hat. Kirche, Kolleg und Alte Universität (jetzt Akademie der Wissenschaften) befinden sich nämlich seit Aufhebung des Ordens im Jahr 1773 durch Papst Clemens XIV. im Besitz des Staates, der somit für ihre Kosten aufzukommen hat.

Gegründet worden war die Wiener Universität bekanntlich bereits unter Rudolf dem Stifter 1365 als „Pfaffenstadt“. Herzog Al- brecht III. kaufte 1385 dann eine Reihe von Häusern auf, die zu Kollegsgebäuden umgebaut wurden. 1623 erhielten schließlich die Jesuiten kraft eines päpstlichen Privilegs die theologische und philosophische Fakultät zugesprochen.

Sie waren es dann, die das gesamte Viertel mit den in das Leben der Stadt integrierten „Bursen“, in denen die Studenten wohnten und lernten, planten und umgestalteten. Sie rissen alte Häuser, manche nicht in ihr Konzept passende Burse und die Bibliothek ab, errichteten als erstes Universitätskirche, Kolleg und Benediktkapelle und schufen den freien Platz vor der Kirche. Dann erbauten sie (bei Bäckerstraße 20 und Wollzeile 27a) die sogenannte Alte Aula mit dem bald weit über die Grenzen hinaus berühmten Theater sowie eine Bibliothek, das Stöckelgebäude (Postgasse 7) und eine Sternwarte.

1705 gestaltete Pozzo die zwischen 1623 und 1630 von einem nicht bekannten Baumeister geschaffene Kirche um. Unter Maria Theresia baute die Universität anstelle dreier Häuser im Westen des Platzes die Neue Aula (seit 1857 Sitz der Akademie der Wissenschaften). Diese ist noch heute eines der bedeutendsten Rokokogebäude Wiens.

„Es waren eben nicht nur Kriegseinwirkungen“, weiß Architekt Hueber, „die zu nachteili gen Veränderungen am Baukörper geführt haben. Am meisten litten die Gebäude durch ihre vielen neuen Nutzer, die sich nicht mehr mit dem Gesamtkomplex identifizierten und ihre Bleibe als Provisorium betrachteten.“ Konkret listet er folgende Baumaßnahmen als „Sünden wider das Denkmal“ auf: Vernachlässigung der Fassaden und Reduktion ihrer Gliederung auf eine Minimalform; Störung der Dachlandschaft durch Entfernung gliedernder Aufbauten; Abbruch des Sternwarteturms; Anlage einer Fußgängerpassage ohne jeden Gestaltungsaufwand (1960); Abbruch des Wirtschaftsgebäudes nördlich der Bäckerstraße ohne entsprechende Terraingestaltung (um 1950); monotone Fassade des Stöckelgebäudes nach Absenkung der Postgasse (in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts); Einbau eines dreigeschossigen Gebäudes durch die Postsparkasse in den Hof (1896); Einbau eines Heizhauses, eines WC-Risalits und eines Liftturmes im Hof; Einbau eines Geschäftslokals beim Haupteingang in das Kolleg (1962); Zwischendecke in der Benediktkapelle (um 1802); Einbau eines Liftes in der Alten Aula, der direkt im Theatersaal mündet (1980).

Dazu kommen so unfaßbare Praktiken wie jene, in der ehemaligen Bibliothek mit dem herrlichen Deckenfresko einen Tischtennisraum für den Polizeisportverein zu etablieren. Praktiken, die Architekt Hueber im Zuge der Sanierung revidiert sehen will.

Geschätzter finanzieller Aufwand für Renovierung, Entkernung und Ausbau der Dächer plus Schaffung von Terrassenwohnungen: eine halbe Milliarde Schilling.

Bislang hat Hueber bloß die

„Kosta-Kapelle“ in der Universitätskirche fertiggestellt. Heuer wird er das Hauptschiff unterdachen und den Stiegenaufgang instandsetzen. Zur Finanzierung der totalen Revitalisierung des Viertels, einschließlich des Theaters, sucht der Staat private Mäzene. Sobald der Bibliothekssaal wieder in altem Glanz erstrahlt, stellt—so viel steht fest — eine Privatsammlerin dem Staat eine wertvolle Sammlung zur Verfügung, was ja auch eine Form von Mäzenatentum darstellt.

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