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Quizlinge am Ende

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Im ersten Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende war die erste Welle der Schulreform — wenn auch nur vorläufig — beendet. In der Multimedienkonferenz erklärte das bildungsministerielle Reformkollektiv den Fortschritt offiziell für eingetreten: die Lehrenden aller Schulen, von der Pränatalakademie bis zum Geria-gogischen Institut, trugen fortan den Titel eines „Professors" oder einer „Professorin", diskriminierende Zusätze waren nicht mehr.allerhöchstens zwischen geschwungenen Klammern, zugelassen.

Die allgemeine Gesamtmatura war schon länger eingeführt worden. Nur wurde sie immer noch in mehreren Stufen vorgegeben: die Stufe eins erreichte man durch das Bestehen einer Eignungsprüfung im Vorkindergarten, die Stufe 14 wurde gleichzeitig mit dem längst amtlich gewordenen Tretrollerführerschein vergeben. Das alles war nicht nur beschlossen und verkündet, sondern auch öffentlich bekannt, dank des segensreichen Wirkens der Diplombildungsreformer (Akademischer Grad: Mag. rer. paed, ref.) und der mit diesen engst zusammenarbeitenden Experten für Lebensbildungsberatung (Mag. rer. inf. paed. perm.).

Die einzelnen Stufen des betrüblicherweise immer noch horizontal gegliederten Maturanten-Systems sollten, so das neueste Regierungsprogramm, endgültig abgeschafft werden. Ein bißchen Reformmöglichkeit mußte ja bleiben.

Schließlich durfte man ja die Beschäftigungschancen der Diplombildungsreformer und der akademischen Bildungsberater nicht gefährden. Beamtet, wie sie nun einmal waren.

Alles schien zum besten, da kam irritierende Rückmeldung. Woher? Aus den die Massen unterhaltenden Medien. Der Dauerbrenner in der Publikumgsgunst drohte zu erlöschen: die chronischen Quizsendungen gerieten in akute Gefahr! Nicht, daß sich etwa der Hauptabteilungsleiter für Kulturelles Umweltbewußtsein, der schon immer die öffentlichen Befragungsspektakel als informationelle Umweltverschmutzung angeprangert hatte, durchgesetzt hätte. So weit war es nun doch noch nicht gekommen. Nein, in den Programmküchen und den Publikumsbadestuben stand man auch weiterhin voll hinter der Publikumsgunst, ja, darin, und mit allen Vieren. Nein, das Problem war nicht intellektuell und mas-senferti, es war existentiell: es gingen die Kandidaten aus!

Erst meinte man, daß durch die vielen, ja ubiquitären Quizsendungen — sie füllten schon vor der Jahrtausendwende den größten Teü der Sendezeit — schon die gesamte Bevölkerung mindestens einmal einen Preis gewonnen hätte. Aber das war es auch nicht. Ein mehrjährig angelegtes, aufwendiges Analyseprojekt des Publikumsforschungsinstituts bei der Generalintendanz der gesamtstaatlichen Massenmedien-Holding wies überzeugend nach, daß es da durchaus noch, wenn auch mehr oder weniger stille Reserven gab. Nein, das Problem lag in den Quiz-Fragen „an sich"!

Es gab einfach niemanden mehr, der sich traute, Fragen zu beantworten, es gab niemanden mehr, der sich aufs Antworten verstand. Woher sollte man solches auch noch können! Im Integrierten Gesamtgymnasium des dritten Jahrtausends lernte man Fragen zu stellen, analytisch und mit Hintersinn, theoretisch und mit Selbstbewußtsein. Aber zu antworten hatte der Gesamtgymnasiast nicht. So half es auch nicht, daß man sich immer noch mehr bemühte, die Quizfragen zu vereinfachen und vorfabrizierte Antworten zur Auswahl zu stellen.

Denn die Wahl quälte die Kandidaten nicht minder: War „Mozart" nun der Aggregatzustand eines Vanille-Puddings, ein Salzburger Konditor oder doch ein Jugendstil-Cafetier mit Betrieb in der Wiener Innenstadt?

Dann kam man auf eine Idee, von der sich die Experten Entscheidendes versprachen: man erfand das Passiv-Quiz, das in der extremsten Form zum „Schwei-ge-Quiz" führte. Dabei stellte zunächst der Moderator — unter Einsatz aller medialen Hilfsmittel — die Frage. Dann traten die Kandidaten in Aktion, eigentlich in „Passion", denn es ging darum, zu den Fragen in mehreren Varianten zu schweigen.

Da hatten es die jüngsten Kandidaten, die schon in den Genuß des erneuerten Schulwesens gekommen waren, natürlich leichter. Die Älteren verfielen nämlich immer wieder in die alte Gewohnheit, auf Fragen etwas antworten zu wollen, und mußten regelmäßig disqualifiziert werden. So scheiterte dieses Modell letztlich an der einflußreichen Lobby der TV-Senioren und auch an der Schwierigkeit, unter mehreren beharrlich schweigenden Kandidaten den „Super-Schweiger" und damit den Sieger zu ermitteln.

Die Lage schien aussichtslos und wurde dennoch eines Tages wieder rosig. Da hatte man nämlich am Bundesstaatlichen Institut für medialpraktische Unterhaltungswissenschaft endlich einmal eine praktische Idee: man erfand — angeblich anläßlich einer der gefürchteten Abschlußprüfungen für akademische Unterhaltungschefs — das „Inversions-Quiz". Das hat man flugs eingeführt, und jetzt steigen sie wieder, die Einschaltquoten.

Beim Inversions-Quiz fragen nämlich die Kandidaten die Quizmaster aus. Die können zwar bei weitem nicht alles und schon gar nicht alles richtig beantworten. Aber die Kandidaten, die dürfen fragen und fragen und fragen. Und das können sie ja. Wie gelernt! Und dann können sie den blamierten Quizmastern die für sie von Wissenschaftlern ausgetüftelten Antworten vorlesen. Und Sie glauben nicht, wie viel Spaß das den Kandidaten macht. Und ihren Verwandten und Freunden daheim an den Röhren nicht weniger. Ideen muß man haben. Was meinen Sie? Man wird ja noch...

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