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Regeln für meinen Stammtisch

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Das Nägelschneiden bei Tische ist verboten, selbst mit einer eigenen mitgebrachten Schere alten Systems; besonders aber mit der neuartigen Zwickmaschine, da die scharf abgezwickten Nägel dann leicht in die Biergläser springen können und das Herausfischen mit Schwierigkeiten verbunden ist!

Das Wort „Popo“ oder ähnliches ist tunlichst zu vermeiden. Ist das aber unmöglich, so soll es mehr oder weniger geflüstert vorgebracht werden!

Ganz private Angelegenheiten, persönlicher Ehrgeiz, Eitelkeit, Größenwahn, „Sichpatzigmachen“ betreffend, sollen nicht über drei Stunden lang gesprächsweise ausgedehnt werden. Es wäre denn, daß der Verbrecher einen französischen Champagner dabei zahlt! Jede Flasche verlängert die Zeitdauer des Gespräches, bis sie leer ist!

Mitteilungen über private Verdauungsstörungen samt Detailschilderung, die von keinem allgemeinen Gesichtspunkte getragen sind, haben dem unglücklichen Nebensitzenden in kurzen, knappen Ausdrücken übermittelt zu werden; auch muß das Mitgefühl des Zuhörers diskret gehalten sein, wobei er es versuchen muß, die natürliche Freude über das Mißgeschick seines Freundes taktvoll zurückzudämmen!

Politische Gespräche haben über die Phrase „Ich glaube, in

Amerika brandelt's“ nicht hinauszugehen!

Gespräche über Goethe haben nicht in eine gräßliche Anrempe-lei des Hugo von Hofmannsthal auszuarten!

Damen an unserem Tische, die zeitweilig „wohin“ gehen müssen, haben von ihrem Gatten oder Geliebten laut und vernehmlich 20 Heller zu verlangen, da wenigstens dieser Vorgang an die „käuflichen Mädchen“ uns angenehm erinnert!

Es durch längere Zeit hindurch versuchen, ob Zündhölzchenköpfe an einer Porzellanreibfläche abspringen, ist ungehörig, da es für die Frage der „Entwicklung der Menschheit“, der doch alles an diesem Stammtische dient, belanglos ist!

Junge Kellnerburschen dürfen nur gegen alle ihre Frechheiten von demjenigen in Schutz genommen werden, der sich ausweisen kann, daß er wirklich „homosexuell“ sei! a

Gespräche allgemeiner Natur müssen eine perfid versteckte Spitze gegen irgend jemanden an unserem Stammtische besitzen; es ist wie die Würze zu Speisen; man verdaut sie dann besser!

Liebespaare dürfen an unseren Tisch kommen; denn es ist ein untrügliches Anzeichen, daß sie wenigstens diese Stunden nicht miteinander allein verbringen wollen; also eine Niederlage coram publice Außerdem kann man die Dame vielleicht abspenstig machen!

Aus: VIELE KOCHE LIEBEN DEN BREI. Heitere und bedenkliche Geschichten vom Essen und Trinken. Nymphenburger Verlag, München 1988. 420 Seiten, geb., öS 234,-.

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