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Rufdienst der Menschlichkeit Zehn Jahre Telephonseelsorge

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Dieser Tage feiert eine Institution ihr zehnjähriges Bestehen in Österreich, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, tätige Nächstenliebe zu praktizieren. „Einmal mit jemand reden können“ - diese Worte, Signum eines menschlichen Problems, das gerade in unserer Zeit zu einem der dringlichsten geworden ist, stellen gewissermaßen das Motto dar, unter dem die Telephonseelsorge Lebensberatung und Hilfe in Konflikt- und Krisensituationen per Draht anbietet.

Ein Stab von derzeit 40 bis 50 ehrenamtlichen Mitarbeitern unter der Leitung von Prof. Edmond de Lijzer ka-tholischerseits und Pfarrer Kurt Au-detat von evangelischer Seite steht 24 Stunden Tag und Nacht dafür zur Verfügung. Diese Mitarbeiter, Hausfrauen, Sozialarbeiter, Angestellte, Pensionisten, Akademiker im Alter von 20 bis 76 Jahren erhalten eine Grundausbildung durch sechs Monate, deren Schwerpunkt bei der Gesprächsführung und Beratungstechnik liegt Lebenserfahrung, Geschick im Umgang mit Menschen, die Fähigkeit des Angstabbaus sind dabei unerläßliche Voraussetzungen für den Dienst am Telephon. Verschwiegenheit, Wahrung der Anonymität des Ratsuchenden, Verständnis und Einfühlungsvermögen auf Seiten des Beratenden und das Angebot der Begleitung bei der Suche nach einer Lösung gehören zu den wesentlichen Grundsätzen der Gesprächsführung, deren vordringlichstes Ziel die Ermutigung zum Leben und zur Bewältigung der vorhandenen Schwierigkeiten darstellt.

Statistisch gesehen stehen Fragen über Eheprobleme an erster Stelle, dann folgen sonstige sexuelle und partnerschaftliche Probleme, familiäre Schwierigkeiten, Einsamkeit und Isolation, Erkrankungen körperlicher und seelischer Natur, Selbstmord, Suchtkrankheiten, Perversionen, soziale und religiöse Fragen. Immer mehr zeigt sich aus den Erfahrungswerten der Berater, daß das Nicht-be-wältigen-Können der selbstverständlichsten Lebensvorgänge, das Gefühl der Sinnlosigkeit des eigenen Lebens zum Gedanken an Selbstmord führen. Gerade in einer so kritischen Situation kann das Gespräch, das überkonfessionell, ohne eine Schuldfrage aufzuwerfen, und vorurteilslos nur an den jeweiligen menschlichen Problemen des Ratsuchenden orientiert ist, das Schlimmste verhüten.

1965/66 nahm die Telephonseelsorge Wien vom Verein Innere Mission der evangelischen Kirche ihre Tätigkeit auf. 1966 wurde der anfängliche Wochenenddienst erweitert und in ökumenischer Gemeinschaft mit dem Pastoralamt der Erzdiözese Wien ausgebaut.

Nach mehreren Ubersiedlungen hat die Telephonseelsorge nunmehr eine endgültige Unterkunft am Stephansplatz 6 gefunden. Sie ist seit 1968 Mitglied des Internationalen Verbandes für Telephonseelsorge (IFOTES) mit Sitz in Genf, der alle drei Jahre einen internationalen Kongreß abhält und auch für die Herausgabe von Richtlinien über Ziele, Grundsätze und Richtlinien des Notrufdienstes verantwortlich zeichnet. Er zählt heute bereits in 25 Ländern Arbeitsstellen mit fast 30.000 Mitarbeitern.

In Österreich gibt es weitere Stellen des Telephonseelsorgedienstes in Linz, Graz und St. Pölten. Mit einem Problem haben sie alle im Kampf gegen den „tragischesten Ausgang des menschlichen Lebens“, wie es Univ.-Prof. Dr. Erwin Ringel in seinem Vortrag anläßlich des Festaktes formulierte, zu ringen: mit dem Mangel an Mitarbeitern und Fachleuten - Psychologen, Ärzten, Rechtsanwälten, Psychiatern, Geistlichen und Sozialarbeitern. Denn die doppelte Zahl der jetzt tätigen Berater wäre notwendig!

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