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Saar als Lyriker

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Der am 30. September 1833 in Wien geborene Ferdinand von Saar hat, nach elfjähriger Militärdienstzeit, das Schwert mit der Feder vertauscht, gleich Theodor Storm, mit dem zusammen er die Spitze der deutschen Novellistik bildet. Auf Manöver und Wanderungen lernte er die gesamten Länder des alten Österreich kennen, seine Gesellschaft, seine Typen, seine Anschauungen, die er in seinen zweiunddreißig „Novellen aus Österreich“ so meisterlich festhält, daß sie unserem Bewußtsein nie mehr verlorengehen können. In früheren Jahren litt Saars Existenz unter großer Armut und drückender Schuldenlast, später unter heillosen körperlichen Leiden und mangelnden Bühnenerfolgen.

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Der am 30. September 1833 in Wien geborene Ferdinand von Saar hat, nach elfjähriger Militärdienstzeit, das Schwert mit der Feder vertauscht, gleich Theodor Storm, mit dem zusammen er die Spitze der deutschen Novellistik bildet. Auf Manöver und Wanderungen lernte er die gesamten Länder des alten Österreich kennen, seine Gesellschaft, seine Typen, seine Anschauungen, die er in seinen zweiunddreißig „Novellen aus Österreich“ so meisterlich festhält, daß sie unserem Bewußtsein nie mehr verlorengehen können. In früheren Jahren litt Saars Existenz unter großer Armut und drückender Schuldenlast, später unter heillosen körperlichen Leiden und mangelnden Bühnenerfolgen.

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Seine dramatischen Werke, auf die er große Hoffnungen setzte, erhielten — trotz Grillparzers Anerkennung — nur Einzelaufführungen, vielleicht mehr infolge ungünstiger Zweitver- hältndsse als fehlender Wirksamkeit. So konnte Saar, dem das Leben in mancher Hinsicht vieles schuldig blieb, zu recht sagen:

„Gar früh schon mußte ich verzichten

Und bitter hab’ ich oft entbehrt;

Mir war im Leben und im Dichten

Der Freude voller Kranz verwehrt.“ Dennoch schmückt der immergrüne, nie verwelkende Lorbeerkranz auch das Haupt des Lyrikers Saar, der in seinen Gedichten das Innerste seines Wesens ausspricht; bald in volkstümlichen Versen und Sonetten, bald in antiken Strophen und freien Rhythmen, aber stets in edler Formenschönheit seine reiche Gedanken- und Gefühlswelt offenbart.

Saar ist der tief mitfühlende Dich ter der unerfüllten Herzenswünsche; er selber vergleicht sich mit dem orientalischen SäulenJhedligen, der von Ferne schauen muß, was tief sein Herz begehrt:

„So steht er viele Jahre — gern stürzt er sich hinab,

Doch schaudert ihm noch immer vorm Sprung ins tiefe Grab.“ Kaum je unterbricht ein heiterer Tan den wehmütigen Mollakkord seiner Leier; vom „Taedium vitae“ gequält ist ihm „Die Erde samt dem Himmel ein ausgeblasn Ei.“ Und resignierende Trauer weht ihn an: „Immer schwerer das Vollbringen, Immer seltner das Gelingen,

Und es schwindet die Geduld — Und ich fühl die eigne Schuld.“ Auch die Kunst vermag Saar nicht zu trösten; ja:

Das ist das Traurigste: zu sehen, Wie tief die Menschheit wurzelt im Gemeinen.“

Stumpfsinnig und kalt gehe die Welt an den Schöpfungen des Dichters vorüber: wie sein Geist in ungelesenen Büchern, so lebe er ein laschpapierenes Leben. „Tot ist die Kunst“, klagt Saar in einer Nänie; „Hin und wieder nur, weit abseits vom Markt, zucken verendend, noch ihre letzten disiecta membra.“ Dennoch hat sich unser Dichter ein warmes, mitfühlendes Herz bewahrt, dessen Pulsschlag wir in jenen Versen empfinden, die er den von Lebensnot Beschwerten, den Armen und Enterbten widmet, etwa den Bauarbeitern im Winter: „Starrer Frost stellt uns seit Wochen

SchonbeimBau die Arbeit ein — Unsre Kraft, sie ist gebrochen, Denn wir müssen müßig sein.“ Saars modem-sozialer Zug leuchtet ins Proletariat hinein, wie in den „Ziegelschlag“, wo „Aufgelöst in Staub und Hitze, oder rings in Kot zerfließend, scheint die Welt auch hier zu Ende“. Mit der elegischen Grundstimmung seiner Seele sieht er das ewige Sinken und Steigen der Woge der Zeit, im Werden schon den Keim des Vergehens, der großen Historie wie im eigenen Geschick: „Was auch der Ruhm der Gegenwart erzähle,

Den innren Zwiespalt könnt ihr nicht bestreiten —

Und dieser Bruch, er ging durch meine Seele.“

Niemals hat Saar bloß der Eingebung vertraut, sondern stets gewissenhaft — langsam die Verse gestaltet, einem „Arbeiter“ zurufend: „Du ihnst nicht, wie ich hämmre Und feile Tag für Tag —

Und wie ich mich verblute Mit jedem Herzensschlag!“

Er erlebte, was er erlitt, brachte allem Menschlichen ein so tiefes gütiges Verständnis entgegen, daß von seiner Persönlichkeit gilt, was er auf Österreich bezieht:

„Was du lässig versäumt, was du verschuldet auch:

Edel warst du doch stets, o du mein Österreich!“

„Tief verlangend und doch entsagungsvoll“ schwebt er wie sein „Trauermantel“ über dem Leben, „um immer wieder zurückzuflüchten in einsame Schatten“. Wohl kennt er nicht das erlösende Lachen, aber das befreiende Weinen; Last und Lust des Verlassenen: „Einsam wird des Geistes Glück genossen“; dem von der Gralslanze Verwundeten, nur Wunden heilend, nicht schlagend, gebühren seine an Josephine von Wertheimstein gerichteten Wünsche: „Auf daß du fortlebst, strahlend, unvergänglich, in dem schönen, dem heitern — in dem ewigen Reiche der Dichtung!“

Die Wahrheit ist, daß wir, sobald uns die Notwendigkeit des Unterhalts nicht mehr verpflichtet, nicht mehr wissen, was wir aus unserem Leben machen sollen, und daß wir es auf gut Glück verschleudern.

Andrė Gide

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