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Skalpell und Recnenstift

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In einer Kurzveranstaltung ging es beim Europäischen Forum Alpbach (FURCHE 35/1984) auch um die „Ideologie und Ökonomie des Gesundheitswesens". Fehlt Geld? Oder effektiver Einsatz?

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In einer Kurzveranstaltung ging es beim Europäischen Forum Alpbach (FURCHE 35/1984) auch um die „Ideologie und Ökonomie des Gesundheitswesens". Fehlt Geld? Oder effektiver Einsatz?

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Erste These: Wo immer der Ökonom Hausverbot hat, beginnt sich das über kurz oder lang zu rächen, in der Gesundheitsökonomie -genauso wie in der Wohnungswirtschaft. Die Verteufe-lung des Preises hat einen hohen Preis: die Fehlallokation knapper Ressourcen.

Zweite These: Auch für scheinbare Gratis-Leistungen muß irgend jemand bezahlen, und in der Regel muß er dafür mehr bezahlen, denn - nur - geschenktem Gaul schaut man nicht ins Maul. Die Problematik vermeintlich kostenloser Leistungen liegt nicht nur darin, daß die Nachfrage tendenziell zu groß, sondern ebenso darin, daß das Angebot tendenziell zu teuer ist.

Es gibt keinen Grund, warum diese wirtschaftliche Binsenweisheit ausgerechnet im Bereich der Gesundheitsökonomie nicht zutreffen sollte. Ergo bremst ein auch nur einigermaßen proportionaler Selbstbehalt des Patienten die Kostenexplosion im Gesundheitswesen wirksamer als das komplizierteste bürokratische Kontrollsystem.

Dritte These: Soweit aus sozialen (etwa Mindestrentner) oder gesundheitspolitischen Gründen (Beispiel chronische Erkrankungen) entweder überhaupt kein Selbstbehalt oder zumindest kein auch nur entfernt kostenproportionaler, wenn auch beispielsweise degressiv gestalteter Selbstbehalt, sondern etwa bei Spitalsaufenthalten ein Fixbetrag in Höhe der Haushaltsersparnis vertretbar ist, sollte ein Mindestmaß an Kostenbewußtsein wenigstens mittels Information geweckt werden.

Vierte These: Das Fehlen eines auch bloß rudimentären Kostenbewußtseins ist nicht auf die Patienten beschränkt, sondern ein Charakteristikum des gesamten Gesundheitswesens. Aber wie soll ein Arzt, sei es vor dem Spitalsmanager, sei es vor sich selbst, einen medizinisch nicht unbedingt notwendigen Aufwand verantworten, wenn er im Regelfall nicht den Schimmer einer Idee von der Höhe des Aufwandes hat?

Fünfte These: Die Kostenfolgen ärztlicher Tätigkeit — und der Arzt ist auch gesundheitsökonomisch die Schlüsselfigur, weil er mit seiner medizinischen Entscheidung (z. B. Spitalseinweisung) unweigerlich zugleich eine Kostenentscheidung trifft — konnten solange übersehen oder auch geflissentlich verdrängt werden, wie der überproportionale Anstieg der Gesundheitskosten auf keine unüberwindlichen Finanzierungsschranken gestoßen ist. Solche beginnen sich aber nunmehr abzuzeichnen.

Sechste These: „Sozialdemontage" ist nicht die Subsidiarisie-rung von Bagatellrisken (und dazu zählt bei einem monatlichen Durchschnitts-Lohneinkommen von - Ende 1983 - rund 14.300

Schilling selbst ein fallweiser Arztbesuch!) und auch nicht ein — gewiß degressiv zu staffelnder — Selbstbehalt bei stationärer Behandlung; „Sozialdemontage" wäre vielmehr — und ist bereits in bestimmten Fällen — die Verweigerung der Hilfe der Gemeinschaft bei existenziellen Risken.

Siebente These: Realtransfers sind Atavismen aus einer niedrigen Entwicklungsstufe des Wohlfahrtsstaates, direkte Nachkommen der Klostersuppe unseligen Andenkens. Sie haben den gravierenden Nachteil des völligen Fehlens jeder Kostentransparenz und damit jedes Interesses der Transferempfänger an einer Kostenmi-nimierung, wie es in ersten Ansätzen schon dann aufkeimen würde, wenn der Begünstigte vorübergehend in Vorlage treten müßte.

Ausreichend zu verstärken ist dieses systemnotwendige Interesse der Versicherten an der Erzielung der benötigten Leistung mit dem geringstmöglichen Aufwand aber nur durch eine unmittelbare Rückkoppelung via Kostenbeteiligung, wobei den sozialen Bedenken mit der Beibehaltung des Sachleistungsprinzips für die sozial Schwächeren (wie bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft) und für Großrisken (Direktverrechnung mit dem Krankenhaus unter Abzug eines zumutbaren Selbstbe-haltes) Rechnung getragen werden könnte.

Der Autor ist Wirtschaftspublizist und Herausgeber der „Finanznachrichten". Der Beitrag beruht auf einem Referat in Alpbach.

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