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So edel, hilfreich, gut...

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Es gibt, die gesamte Theatergeschichte hinauf und hinunter, ein solches Aufgebot edelster, uneigennützigster, schönster Seelen kein zweites Mal — die „Minna von Barnhelm“ des Gotthold Ephraim Lessing schlägt in dieser Beziehung mühelos alle Rekorde. Da die gesamte Handlung kein anderes Motiv als den Edelmut kennt, schürzt der Edelmut alle Knoten, beim Lösen tut er sich dann um so leichter. Nur zwei Randfiguren weisen leichte Trübungen ihrer Charaktere auf — was so an menschlicher Größe von den Hauptfiguren auf sie zurückstrahlt, läßt selbst noch sie in fast purem Weiß erscheinen.

Mit diesem Stück bestreiten die Greiner Sommerspiele ihre zehnte Spielzeit, womit sie, sehr wahrscheinlich ohne es gewußt oder gar beabsichtigt zu haben, ganz im Trend der großen Bravheit mitschwimmen, der dem Vernehmen nach in letzter Zeit die deutschen Spielpläne beherrscht. Seit die „Räuber“ in der nachmärzlichen Versenkung verschwanden und „Kabale und Liebe“ bei den Programmmachern mehr Anklang finden und modische Deutungen die politischen verdrängten, kann die „Minna“ nur gefallen, oben wie unten — schlechte Zeiten für Nathan, den Weisen, dessen Auftauchen auf den Bühnen ja bekanntlich ebenfalls stets das zu spiegeln pflegt, was sich außerhalb der Theater gerade tut, kürzlich tat oder bald wieder tun wird.

Im Publikum kommt der schiere und selbst der bis zum Irrealismus übersteigerte Idealismus ohnehin immer bestens an — endlich, endlich, ist das Theater wieder erhebend, erbauend, und auch in Grein, wo die Theaterwelt niemals aus den Fugen war, ist sie schon wieder heil und in Ordnung. Die Menschen, die diesem Stück in Grein applaudieren, und sie applaudieren reichlich, sind, da sollte man sich nur ja nichts einbilden, dieselben oder zumindest die gleichen, auf die mit so vielen deutschen Stadttheater-Spielplänen jetzt wieder Rücksicht genommen wird und die längst genau das wollen, was man ihnen von oben verordnet.

Die „Minna“: Ein durch und durch ehrliches Stück, bei dem man achtgeben muß, daß es nicht in der Inszenierung zur Lüge gerät, denn das Böse, das hier so erfolgreich von der Bühne verbannt wird, wirkt im Schicksal des Tellheim, des Soldaten, der von seinem König erstens nicht mehr gebraucht und zweitens verleugnet wird. Was aber einst immerhin genügend provozierte, um in Hamburg zum Verbot des Stückes zu führen, ist heute nur noch historische Staffage. Eine Regie, die den minimalsten Anspruch auf Interpretation erhebt, hätte zu wählen — Fritz Lehmann ging konsequent den bewährten Weg der Greiner Sommerspiele, der jede Interpretation erübrigt: den Weg der „naiven“ Inszenierung.

Und gerade die „Minna“ ist ein Stück, das auf diese Weise wahrscheinlich heute am genießbarsten ist — immerhin wirkt sie in Grein kaum verstaubt, und wüßte man nicht, wie die Geschichte ausgeht, könnte man ihr sogar mit Spannung folgen, denken kann sich dabei jeder, was er will — wenn er will. Verzicht auf Reflexionen, heile Welt, nicht nur auf der Bühne, sondern auch dahinter — da könnten die Sommerspiele, nicht nur in Grein, sogar Spitzenreiter eines Trends sein, der uns möglicherweise bevorsteht. Denn die Bravheit marschiert, und vielleicht bald mit genagelten Stiefeln.

Als Major von Teilheim kann man sich Hans Niklos, den Fernsehstar aus dem „Kleinen Haus“, einmal in einem kleinen Haus in der Nähe ansehen. Er wetteifert mit Mimi Kilinger. (Minna) im Bemühen, edelmütig so glaubwürdig wie möglich zu sein. Traute Furthner als Franziska darf herzhaft sein, Reinhard Reiner als Just gewinnt seiner Rolle unbedingt am meisten ab, ein Grantscherben, der seine Anständigkeit wenigstens versteckt. Charles Elkins als Werner, Tony Goebel als Wirt, Renate Giele als Dame in Trauer, sie tun ihr Bestes, und Michael Gert als Riccaut chargiert sogar mit einem nahezu vollechten französischen Akzent.

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