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Steuerverdrossene

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„Wir sind steuerverdrossen“, sagten Gewerkschafter und Oppositionsfunktionäre, die beim Finanzminister vorsprachen. „Wir wollen eine Steuersenkung“, murmelten die Gewerkschafter. „Genauer gesagt: eine Steueranpassung“, ergänzten etwas lauter die Oppositionspolitiker.

„Meine Herren“, sagte kopfschüttelnd der Finanzminister, „Ihr Wunsch überrascht mich. Eine Steueranpassung wollen Sie? Die Steuern werden doch ohnehin laufend dem angepaßt, was der Staat braucht. Aber ich bin Ihnen auf jeden Fall dankbar, wenn Sie mich in Zukunft dabei unterstützen, diese Anpassungen noch schneller und wirksamer durchzuführen.“

„Sie mißverstehen uns, Herr Minister“, sagte ein Oppositionspolitiker, „wir wollen keine Anpassung der Steuern an die Bedürfnisse des Staates, sondern eine Anpassung der Lohnsteuerprogression an die Preisentwicklung, damit nicht ein Steuerzahler, dessen Gehalt in den letzten Jahren genau im Ausmaß des Index gestiegen ist, jedes Jahr mehr Steuer bezahlen muß und an Realeinkommen verliert.“

„Ach, ich verstehe“, sagte der Finanzminister, „Sie wollen, daß die Steuern dem Realeinkommen ange paßt werden. Das ist auch mein Herzenswunsch! In unserem Land ist bestimmt viel mehr an Einkommen vorhanden als im Verhältnis dazu an Einkommensteuer bezahlt wird. Was sagen schon Lohnstreifen oder Steuererklärungen! Würde wirklich jedes Einkommen versteuert, hätte ich keine

Sorgen. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar für Ihre Unterstützung!“

*

„Ich bin steuerverdrossen“, sagte ein Mann zu seiner Frau. „Bei jeder Lohnerhöhung kassiert das meiste der Finanzminister. Und warum? Wegen der Pfuscher und Schwarzarbeiter! Was der Fiskus dort verliert, holt er sich bei den braven Steuerzahlern doppelt und dreifach! Ich kümmere mich in meiner Freizeit, wie es sich gehört, um meine Familie…“

„… und wir können uns“, sagte seine Frau, „keinen Farbfernseher, keinen Thailand-Urlaub und nicht alle zwei Jahre ein neues Auto leisten. Die

Leute im Haus halten uns sowieso für nicht ganz normal. Können wir aus dieser Situation nicht endlich heraus?“

„Wir werden eben“, sagte der Mann, „in Zukunft auch so viel wie möglich schwarz dazuverdienen - und für alle

Arbeiten, die wir nicht selbst machen können, nehmen wir einen Pfuscher!“

*

„Ich bin steuerverdrossen“, sagte ein Mann an der Theke zu seinem Sitznachbarn. „Der Selbständige ist heute wirklich die Melkkuh der Nation. Ständig neue Steuern und dazu das Gerede, die Selbständigen seien durchwegs Steuerhinterzieher und Staatsschädlinge.“

„Mit meinem Angestelltengehalt“, sagte sein Nachbar und machte ein bekümmertes Gesicht, „komme ich auch nicht aus.“

„Ach, kommen Sie, so arg wird es schon nicht sein, und sicher haben Sie einen verständnisvollen Chef?“ sagte der erste.

„Nun, mit dem verstehe ich mich auch nicht mehr so gut wie früher“, sagte der zweite, und sein Gesicht wurde noch bekümmerter, „ich wollte mir schon eine andere Stellung suchen, aber er läßt mich nicht fort, und irgendwie fühle ich mich ihm verpflichtet.“

„Sie sind arm“, sagte der erste, „können Sie, wenn Ihr Gehalt wirklich so knapp ist, nicht ein bißchen dazuverdienen?“

„Das muß ich ohnehin”, sagte der Mann mit dem bekümmerten Gesicht, „aber mein bescheidener Nebenverdienst ruft ständig irgendwelche Neider auf den Plan.“

„Kenne ich, kenne ich“, sagte der Selbständige, „ein bißchen Tennisspielen, Segel- und Skiurlaub, und schon glauben die Leute, man sei ein Krösus und frisiere die Steuererklärung. Trösten Sie sich - keine Finanzoder Steuerprobleme hat wohl nur der Finanzminister.“

„Glauben Sie das nicht“, sagte der andere, und sein Gesicht wurde noch viel bekümmerter, „ich bin der Finanzminister.“

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