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Weltgeschichte(n)

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„Habe die Ehre“, begrüßte einer der apokalyptischen Hofräte dieses Landes auf der Treppe eines der besseren Ministerien einen anderen apokalyptischen Hofrat, „haben Sie schon vom Fall Mildner gehört?“

„Mildner ... Mildner .. “. sagt der andere.

„Na, der Gendarmerieoberst“, sagte der erste hohe Beamte, „steht doch in allen Zeitungen! Er hat sich wegen Arbeitsmangels versetzen lassen!“

„Ach der! Naja, Folter durch Arbeitsentzug war ja schon bei den alten Chinesen eine beliebte Strafe.“

„Sie verwechseln das mit der Hinrichtung durch Schlafentzug“, korrigierte ihn der erste, „angeblich stirbt der Mensch, wenn man ihn eine bestimmte Zeit nicht schlafen läßt.“

„Diese Zeit muß sehr kurz sein“, sagte der zweite Herr, „ich merke es an einigen meiner Untergebenen, wenn wieder einmal etwas mehr zu tun ist. Vielleicht sind sie einfach entwöhnt. Ob man wirklich Menschen auch durch Arbeitsentzug töten kann?“

„Es muß sich da um eine ganz bestimmte Sorte Mensch handeln...“

„Ja, solche wie dieser Oberst oder wie wir. Wie war das eigentlich?“

„Naja“, meinte der erste, „das war

so. Er wurde von der Gendarmerie in die Verkehrskoordinierungsabteilung des Innenministeriums versetzt, wo es aber rein überhaupt gar nichts für ihn zu tun gab. In ein paar Monaten bekam er einen einzigen Akt.“

„Aber das wäre bei uns doch eine ganz normale Arbeitsleistung, mehr bekomme ich ja selber ni... naja, ich meine, ein Akt ist ein Akt, und wenn es ein dicker ist, bin ich schon damit zufrieden, also, wir verstehen uns schon.“

„Es war kein sehr dicker“, sagte der erste, „und wissen Sie, was ich noch immer nicht herausbekommen habe?“

„Na?“

„Ob es sich bei dieser Ruhigstellung des Herrn Oberst wirklich und wahrhaftig um eine Schikane gehandelt hat — oder nicht vielleicht um das diametrale Gegenteil, nämlich um ein Maximum an Protektion!“

„Wenn ich es richtig bedenke, würde ich auch lieber mehr tun — vielleicht sollten wir eine Zulage für diesbezügliche Erschwernisse verlangen.“

„Dabei wird in anderen Ministerien fürchterlich gearbeitet. Und wenn ich mich so erinnere — eigentlich haben ja auch wir früher einmal riesig hingehauen. Seien Sie einmal ehrlich, Herr Kollege — war das Leben damals nicht eigentlich befriedigender?“

„Also, wenn ich ehrlich sein soll — man war zwar dem Herzinfarkt näher, aber man hat wenigstens gewußt, wofür man lebt. Vielleicht sollten wir uns versetzen lassen. Ins Innenministerium, zum Beispiel.“

„Für uns werden sie dort schon Arbeit haben.“

„Oder ins Handelsministerium. Oder ins Sozialministerium.“

„Oder an eine Botschaft!“

„Ja, dort geht es auch noch. Nur hier, im Außenministerium, wird man gefoltert.“

„Ich möcht' Sie etwas fragen, Herr Kollege, aber ganz im Vertrauen“, sagte der eine der beiden.

„Ich gelobe Stillschweigen“, sagte der andere.

„Glauben Sie, tut er es, um uns zu quälen?“ sagte der eine.

„Sie meinen — den Kanzler?“ sagte der andere.

„Natürlich“, sagte der eine, „wen sonst. Will er uns quälen? Oder ist er einfach so geizig, daß er uns gar keine Arbeit gönnt und die ganze Außenpolitik allein macht?“

„Ich glaub halt“, sagte der andere, „er ist süchtig. So wie der Mildner.“

„Komisch“, sagte der erste, „dabei war er eigentlich nie. bei der Gendarmerie!“

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