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Tausche CD-Player gegen Grammophon

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Mein Freund, erfolgreich auf dem Nostalgie-Trip, ist beneidenswert. Er besitzt eine Vase im Stil der Wiener Werkstätten, einen - leider schon etwas wackligen - Original-Thortet-Schaukelstuhl und ein Grammophon, dessen überdimensionaler Schalltrichter einen beträchtlichen Teil der Kubatur seines Mansardenkabinetts füllt. Das musikalische Programm des mechanischen Abspielgeräts ist allerdings bescheiden. An die kratzer-haft-leiernde Melodik könnte man sich ja gewöhnen. Manche, vor allem weibliche Besucher, geraten dabei fast in Erinnerungs-Ekstase. Doch ein Tango, zwei Foxtrotts und ein Walzer sind halt kein abendfüllendes Repertoire. Mein Freund beschleicht seit Monaten sämtliche Flohmärkte und Antiquitätenläden. Alte Platten sind eine Rarität.

Da bin ich besser dran. Ich besitze einen Plattenspieler mit drei Geschwindigkeiten. Sein Design atmet den kühlen Charme der japanischen Mitteachtzigertechnologie, löste daher keinerlei nostalgisches Entzük-ken aus, läuft dafür elektrisch, setzt den Tonabnehmer automatisch auf, schaltet sich nach kurzem Krachen von selbst wieder ab, und vermittelt die Musik über zwei Lautsprecher, die mir die Illusion eines Konzertsaales vermitteln. Die Plattensammlung ist nicht gerade repräsentativ. Aber wer nach zwei Sinfonien und dem Forellenquintett meine U-Musik auflegt, der hat immerhin den Abend gefüllt und die Gäste gespannt und ermuntert.

Kürzlich wollte auch ich mein Repertoire erweitern. Ich begab mich dazu nicht auf den Flohmarkt, son-

dern in ein solides Fachgeschäft. Das Angebot war üppig und verwirrend. Eine junge Dame mit Disco-Hüftschwung fragte nach meinen Wünschen und murmelte, als ich eine Auswahl von Langspielplatten begehrte, etwas von „vorsintflutlich". Ich mußte ihr als eine Art Dinosaurier erschienen sein. Sie holte einen Verkäufer zu Hilfe, dem ich mein Anliegen und meinen Plattenspieler schilderte. Seine Miene verriet Abscheu. „Den können S' wegschmeißen!" bemerkte er trocken. „Sie haben wohl noch nie etwas von CD gehört?"

Ich hatte. Aber ich hatte nicht gemeint, daß ich mit meinem Gerät damit schon auf den Flohmarkt verwiesen wäre.

Nach einigen Wochen konfliktrei-

cher Überlegung hatte ich mich zum technischen Fortschritt durchgerungen. Die CD-Platten sind handlicher, man braucht sie bloß in den Schlitz zu stecken, sie nützen sich nicht ab, kurzum war ich zur Investition in den neuen Unterhaltungs-Elektronik-Konsum bereit.

Die Geräte sind ja nicht übermäßig teuer. Unter zwei Tausendern trägst du schon einen Stereo-Konzertsaal nach Hause. Ich kaufte und bekam den anerkennenden Blick des Verkäufers als Draufgabe.

Seither spiele ich CD. Meine Vorfreude jedoch, bei meinen Gästen mein Image als Verfechter des Fortschritts aufzubauen, ist stark getrübt. Denn nun höre ich schon wieder etwas von „vorsintflutlich". Die Zukunft, so

versicherte mir ein wohlinformierter Elektronik-Freak, gehöre diesen völlig überholten CDs keinesfalls. Schon kämen neue Systeme, die Mini-Disk und dergleichen. Ins 21. Jahrhundert interpoliert: Beethovens neun Sinfonien auf einer briefmarkengroßen Scheibe, die gesamte Musikgeschichte in einem kleinen Aktenkoffer. Und diese Trickmöglichkeiten: Instrumente aus- und einblenden, alles auch noch mit Bild und Fernsehapparat.

Mein Liebhaberherz schrumpft wie die Plattendimension. Kürzlich habe ich meinen Freund auf den Flohmarkt begleitet. Wir hatten Glück. Wir fanden eine mäßig zerkratzte Schellack mit den „Beinen von Dolores". CD-Player gegen altes Grammophon zu tauschen gesucht!

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