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Vor echten Verhandlungen?

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Seit der westdeutschen Anerkennung der polnischen Westgrenze und dem Ausbruch der Arbeiterrebellion sind die Warschauer Begimereaktionen gegenüber dem Vatikan konzilianter, wenn auch noch inuner entschieden kritisch. Kein eiskalter Wind weht mehr vom Osten her. Zwar ist der Eispanzer nicht geschmolzen, aber auf der Oberfläche taut es langsam, seit die Kirche sich an die Seite der rebellierenden Werktätigen gestellt und Bonn den Oder-Neiße-Grenzgarantievertrag unterzeichnet hat.

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Seit der westdeutschen Anerkennung der polnischen Westgrenze und dem Ausbruch der Arbeiterrebellion sind die Warschauer Begimereaktionen gegenüber dem Vatikan konzilianter, wenn auch noch inuner entschieden kritisch. Kein eiskalter Wind weht mehr vom Osten her. Zwar ist der Eispanzer nicht geschmolzen, aber auf der Oberfläche taut es langsam, seit die Kirche sich an die Seite der rebellierenden Werktätigen gestellt und Bonn den Oder-Neiße-Grenzgarantievertrag unterzeichnet hat.

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Der polnische Episkopat ist derzeit in besserer Position als nodi vor ein paar Monaten. Audi er wünsdit eine „Normalisierung der Beziehungen" mit der neuen Führersdiaft. Vorerst müssen jedodi einige Bedingungen erfüllt sein:

Gewissensfreiheit und volle Freiheit des religiösen Lebens, parallel mit der vollkommenen Normalisierung der Beziehimgen zwisdien Staat und Kirche. Recht auf freie Gestaltung der Kultur jeder Nation, entspre-diend dem Geist der Koexistenz der Völker. Soziale Gereditlgkeit, die in Erfüllung gerechter Forderungen zum Ausdrude kommen muß. Wahrheit Im sozialen Leben, wirklichkeitstreue Information und freie Bekennung der eigenen Ansiditen und Verlangen. Materielle Konditionen, die eine anständige Existenz jeder Familie sidiem und jedem Staats-bünger eine entsprechende Stellung garantieren. Das Redit für jeden Staatsbürger, daß er nicht insultiert, verfolgt und geschädigt wird. Nur die erste Forderung bezieht sich direkt auf die Kirche. In den anderen Punkten wird für freie Entfaltung des Christentums und der Religion pläidjert. Die Klrdię verlangt’ voni neuen Regime vor ail&m’.di^ so-’ ziaien, wirtschaftlidien und rhensdi-lichen Freiheiten für alle Polen und präsentiert sidi als Fürsprecherin der ganzen Nation.

Es wurde in diesem Geiste vom Episkopat sogar ein Dokument verfaßt und von den hohen kirdüidien Würdenträgem Kardinal Wyszynskl, Kardinal Karol Wojtyla (Erzbisdiof von Krakau) und Hüfsbisdiol zu Warsdiau und Sekretär des Episkopats Bronislaw Dabrowski unterzeichnet. Damit sind alle Spekulationen auf eventuelle Gegensätze zwischen den zwei Kardinälen, die dem Charakter und Temperament nach so versdiieden sind, wieder einmal hinfällig geworden.

Bald sollen neue Gesprädie zwischen dem Staat und der katholischen Kirche beginnen, die aber ganz anders verlaufen sollen als die bisherigen Konsultationen innerhalb der unfruchtbaren Gemisditen-Kirdie-Staat-Kommission. Diese Körperschaft wurde in der letzten Zeit de-zinaiert, auf der kirchlichen Seite durch den Tod alter Mitglieder, auf der staatlichen durdi den politisdien Tod, der in letzter Zeit reiche Ernte hatte.

Es ist sogar wahrsdieinlidi, daß die t)evorstehenden Verhandlungen auf einer viel höheren Ebene, nämlich zwischen Ministeipräsident Jarosze-wicz und Primas WyszyAski, stattfinden werden. Jaroczewicz war zwar lange als der Comecon-Verantwortliche Polens und Wirtsdiafts-spitzenexperte bekannt. Im Westen dürfte es kaum bekannt sein, daß Jaroszewicz audi der Vorsitzende des Regierungsparteikomitees für religiöse Fragen war und in der Go-mulka-Epoche immer , lebhaftes Interesse; Mrdriicha tr Pro Weme bekundete. Ja Toszesräd So naboa.: auch an der De-Gaulle-Trauermesse in der St.-Johann-Kathedrale teil.

Wyszynski war noch nie so aktiv wie in den vergangenen Wodien. Seit Dezember hielt er fünf „Strafpredigten" und setzte seinen Drude auf die Regierung systematisdi und konsequent fort. Er ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß eine ,iNor-malislerung" um den Preis der Aufgabe der Forderungen nach Men-sdienrechten für alle Staatsbürger niemals zustande kommen könne.

Das Regierungäkonzept der „Normalisierung" ist bis dato nicht publiziert worden, wenn ein soldies überhaupt sdion existiert. Selbst Jaroszewicz madite in einer Sejm-Sitzung nur Anspielungen. Die Kirche will die neue Führung nicht provozieren und ihr eher die Vorteile einer Treuga Dei bieten. Wyszynski übt sidi in Geduld, obwohl er kein Hehl daraus madit, daß die Kirdie nach dem zweiten Weltkrieg in der Ausübung der aposto-lisdien Mission gehindert wurde. Die verlorenen Positionen sollen zu-rüdcgewonnen werden. Das Regime soll hingegen beruhigt sein, daß die Kirche ihre „neuen Möglichkeiten" zum Wohle der gesamten Bevölkerung einsetzen wird. Dazu seien aber notwendig: Zeitungen, wohltätige Organisationen und kulturelle Verbände der katholischen Kirdie, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten liquidiert worden sind.

Nadi der Studentenrevolte im März 1968 hat sidi die Lage etwas verbessert, sie war jedodi nidit zufriedenstellend. Der kämpferische Kardinal milderte seinen scharfen Ton, weil die Zahl der behördlidien Angriffe und administrativen Sdii-kanen auch merklich kleiner geworden ist. Mandie Beschwerden der Kirdie wurden im stillen Einverständnis gelöst. Es blieben jedoch genug Fragenkomplexe offen. Darunter sind heikle Probleme, die das Wohlwollen des Regimes auf die Probe stellen:

Rückgabe des Kirchenbesitzes in den westlichen Territorien. Vage Ver-sprediungen und Andeutungen seitens der Regierung waren bereits vssnehmtoa.

Erteilung neuer Bewilligungen zu Kirchenbauten.

Aufhebung der staatlichen Bestimmung, wonach das ganze kirchliche Inventar und Eigentum, inklusive Möbel und liturgische Bekleidung und Gegenstände, von staatlichen Organen zu jeder Zeit inspiziert werden kann.

Zufriedenstellende Neuregelung des Religionsunterrichtes. Absdiaffung der Registrierung der Teilnehmer durch die staatlichen Schulbehörden, der Inspektion des Religionsunterrichtes durdi Laieninspektoren, die gewöhnlidi KP-Mitglieder oder sogar Atheisten sind, Aussdiluß der Möndie und der Nonnen aus der Organisation der ReUgionslehrer. Der Problemkomplex der katholi-sdien theologischen Seminare, wobei zahlreiche Fragen neu zu regeln wären, wie die Besteuerung der Priesterseminare, der Militärdienst des Klerus usw.

Drosselung, womöglidi Einstellung der atheistischen Propaganda In breiten Volkssdiichten. Erteilung einer Einreisebewilligung für den Papst.

Interessanterweise beschäftigten sich der Episkopat und Kardinal Wyszynski in drei Hirtenibriefen in erster Linie mit nationalen, wirtschaftlidien, soeialen und mensdi-lichen Fragen und nicht mit religiösen und kirchlidien.

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