6875091-1978_40_32.jpg
Digital In Arbeit

Wie war die Stimmung im „Gau Oberdonau“?

19451960198020002020

Nach den bisher erschienenen vier Bänden zur Geschichte Oberösterreichs nach 1918 wird in diesem Herbst der rund 500 Seiten umfassende Band „Oberösterreich - als es ,Oberdonau' hieß (1938-1945)“ von Harry Slapnicka (dem Autor dieses Beitrages) erscheinen. Wenn auch außerordentlich viele Unterlagen aus dieser Zeit vernichtet wurden, geben die erhalten gebliebenen Reste doch einen ausreichenden und guten Einblick in die Geschicke eines der österreichischen Länder während der nationalsozialistischen Zeit.

19451960198020002020

Nach den bisher erschienenen vier Bänden zur Geschichte Oberösterreichs nach 1918 wird in diesem Herbst der rund 500 Seiten umfassende Band „Oberösterreich - als es ,Oberdonau' hieß (1938-1945)“ von Harry Slapnicka (dem Autor dieses Beitrages) erscheinen. Wenn auch außerordentlich viele Unterlagen aus dieser Zeit vernichtet wurden, geben die erhalten gebliebenen Reste doch einen ausreichenden und guten Einblick in die Geschicke eines der österreichischen Länder während der nationalsozialistischen Zeit.

Werbung
Werbung
Werbung

Schon wenige Tage nach dem „Anschluß“ und noch vor der Volksabstimmung im April 1938 verfaßte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) Berichte über die Stimmung der Bevölkerung und einzelner Bevölkerungsund Berufsgruppen; sie holte sich die entsprechenden Unterlagen bei den

Bezirkshauptmannschaften, Bürgermeistern, Gendarmerieposten. Propagandaminister Goebbels benötigte aus den einzelnen Gauen für seinen Bereich und die Lenkung seiner Propaganda ähnliche Stimmungsbarometer.

Weitere Stimmungsberichte hatten die militärischen Einheiten, aber auch die Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte an den Reichsjustizminister zu liefern.

Anfänglich sind die Berichte aus Oberösterreich, das bald schon den Namen „Oberdonau“ annehmen muß, für das neue Regime beruhigend - wenn auch nicht ohne Einschränkung. Aber schon aus der allerersten Zeit berichtet etwa der

Gendarmerieposten Kleinreifling: „In kultureller Hinsicht wird von der hiesigen Bevölkerung, welche zum Großteü streng katholisch ist, befürchtet, daß sie in religiöser Hinsicht Einschränkungen unterworfen wird.“ Dann liest man vorerst von der Gruppe der vermeintlichen Gegner, sie seien ruhig, „lurückhaltend“,

„abwartend“. Der Bezirkshauptmann von Steyr berichtet triumphierend, daß bei der Volksabstimmung über den „Anschluß“ in allen 24 Gemeinden nur 18 Personen mit „Nein“ gestimmt hätten; die Mehrzahl dieser „undeutschen Menschen“ stamme „eher aus dem Lager der früheren Christlichsozialen als aus den Kreisen der Marxisten“.

Die Politik scheint anfänglich ausgeklammert, von politischem Widerstand kann vorerst kaum gesprochen werden. Aber die - entgegen allen enthusiastischen Zeitungsberichten - wachsende Mißstimmung über wirtschaftliche und soziale Probleme ist aus den örtlichen Stimmungsberichten in immer stärker zunehmendem Maße zu entnehmen. So sind vom ersten Tag an die Klagen der Landwirtschaft über Arbeitskräftemangel unüberhörbar - aber auch, und zwar noch im ersten Kriegsjahr,

die Klagen über Absatzschwierigkeiten beim Vieh. Es folgen sehr rasch Beschwerden über das auseinanderlaufende Lohn-Preis-Gefüge, über •Schwierigkeiten einzelner Wirtschaftszweige und über die Sorgen einzelner Regionen des Landes, in rasch zunehmendem Maße schließlich über Warenknappheit.

Noch im Spätherbst 1938 berichtet der Landrat von Kirchdorf: „Der Bezirk ist Notstandsgebiet“. Von der oberösterreichischen Sensenindustrie wird berichtet, sie halte sich „recht und schlecht über Wasser“. Die Gendarmerie Pettenbach fragt an, ob es ratsam sei, 200 bis 300 Bauern wegen Überschreiten der Stopppreise zur Anzeige zu bringen. Andererseits erfährt man auch, daß Bauern aus wirtschaftlichen Erwägungen ihre Landwirtschaften verkaufen wollen.

Aus Weyer an der Enns wird be-

richtet, daß die Arbeitslosigkeit zwar zurückgegangen sei, daß die Arbeiter aber großteils auswärts beschäftigt seien und daß das verdiente Geld auch dort, wo sie arbeiten, bleibe, „wodurch eine wirtschaftliche Hebung in Weyer nicht eintreten kann“. Aus Reichraming wird berichtet, daß die Forstarbeiter „mit den niedergehaltenen Löhnen nicht zufrieden“ seien. Die Gendarmerie Steyr aber berichtet, daß von der Belegschaft der Steyr-Werke Stimmen zu hören sind, welche die niederen Löhne der österreichischen Arbeiter bemängeln, die mit den Löhnen im „Altreich“ nicht übereinstimmen.

So zurückhaltend anfänglich noch diese Hinweise in den Stimmungsberichten sind, so unüberhörbar werden vor allem die über Kriegsangst und Kriegsgegnerschaft in der Bevölkerung - und zwar schon lang vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.

Im Herbst 1938, ein knappes halbes Jahr nach dem „Anschluß“, werden im Zusammenhang mit der Sudetenkrise Sdrgen bezüglich eines befürchteten Krieges laut. Der Bezirks-

hauptmann von Steyr meldet, daß insbesondere in den Kreisen der Landwirtschaft „Furcht vor einem zukünftigen Krieg“ besteht. Ein Jahr später häufen sich die schon wesentlich kritischeren Berichte: die Gendarmerie von Klaus berichtet „von dem beklemmenden Gefühl, daß es im Herbst zu irgendetwas kommen werde“, der Bericht von Wartberg an der Krems verdolmetscht eine „gedrückte Stimmung“, Pettenbach erwähnt, daß die Bevölkerimg „nichts Gutes ahne“ und wenig später: „Die

Stimmung der Bevölkerung ist sehr geteilt“. Grünburg meldet: „Die Bauern, zumeist Bergbauern, sehen mit Bangen der Zukunft entgegen“, und Windischgarsten: „Die Stimmung der Bevölkerung ist nicht so begeistert wie 1914“, schließlich Kirchdorf an der Krems: „Die Stimmimg der Bevölkerung ist gespannt“. Steinberg am Ziehberg teilt mit: „Die Begeisterung zur NSDAP ist nicht mehr so, wie dies noch vor Monaten der Fall war“.

Die vielleicht ausführlichsten Informationen beziehen sich auf die katholische Kirche und den Klerus. Hier gibt es alle nur möglichen Berichts-Varianten. Immer wieder heißt es, daß sich der Klerus „scheinbar loyal“ verhält, aber die Berichte über die Überwachung von Predigten und kirchlichen Veranstaltungen, über Kirchenaustritte, die so bescheidenen Abmeldungen vom Religionsunterricht, über die neueingeführten Kirchenbeiträge, die Jugendseelsorge und zuletzt über die vom Regime als besonders unangenehm empfundenen kirchlichen Gedenkfeiern für die Kriegstoten zeigen, daß man in ihr den „Feind Nr. 1“ sieht.

Die Beispiele aus Oberösterreich sind in ihrer Menge kaum erfaßbar und noch vor Beginn des Rußland-

feldzuges, im März 1941, berichtet der Sicherheitsdienst-Bericht aus Oberdonau: „Das Hauptkontingent der gegnerischen Wühlarbeit trug nach wie vor die katholische Kirche“.

So gehen die Berichte, immer düsterer werdend, weiter. Die allgemeinen Stimmungsberichte werden wohl 1943 von Hitler verboten, weil angeblich bedeutungslose Aussprüche einzelner und wenig bezeichnende Fakten „als Beweis für die angeblich schlechte Stimmung der Bevölkerung“ angeführt werden. Aber aus Teilgebieten muß weiterberichtet werden, und der letzte erhalten gebliebene Bericht des Linzer Oberlandesgerichtspräsidenten an Justizminister Thierack von Ende 1944 endet mit den Worten: „Dennoch muß gesagt werden, daß in weiten Kreisen die Überzeugung besteht, daß der Krieg nicht durchgehalten werden könne“.

(Der Autor ist Leiter der Abteilung für Zeitgeschichte und Dokumentation am Landesarchiv in Linz.)

Volksabstimmung vom 10.4.1938

Die Volksabstimmung über den Anschluß der österreichischen Gebiete an das Großdeutsche Reich am 10.4.1938 erbrachte für Oberösterreich, natürlich ohne die südböhmischen Bezirke Krummau und Kaplitz, die ja erst später angeschlossen wurden, ein Gesamtergebnis von 99,68% Ja-Stimmen, das etwas über dem ge-samtösterreichischen (99,32%) lag. Die Schwankungen innerhalb der einzelnen Bezirke waren nur unbedeutend (Linz-Stadt: 99,40; Bezirk Wels: 99,94). Von den 583.288 Wahlberechtigten stimmten 1784 nicht mit „Ja“; von den 582.487 abgegebenen gültigen Stimmen lauteten — nach der offiziellen Statistik — 983 nicht auf „Ja“. Von den österreichischen Landern war das Ergebnis des Burgenlandes noch günstiger als das oberösterreichische, wo ein Anteil von 99,90 Prozent Ja-Stimmen erreicht wurde.

Die geplanten Verteidigungsmaßnahmen Österreichs gegen einen deutschen Angriff vor 1938 hätten ihren klaren Schwerpunkt in Oberösterreich gehabt. Die Pläne erstellte Generalmajor Jansa, der am 1. Juni 1935 den neugeschaffenen Posten eines Chefs des Generalstabs übernommen hatte, nachdem er vorher Militärattache in Berlin gewesen war und die Deutsche Wehrmacht gut kannte. Sein Verteidigungsplan (Jan-sa-Plan) sah ursprünglich die Versammlung der Masse des österreichischen Bundesheeres an der Enns vor. Der Plan wurde jedoch fallengelassen, weil die Munitionsausstattung des Bundesheeres und die im Aufbau befindliche Luftwaffe für einen Großkampf zu schwach gewesen wäre, aber auch, weil man we-

sentliche Teile Österreichs - fast ganz Oberösterreich mit der Landeshauptstadt Linz - kampflos aufgegeben hätte. So plante man einen langsamen, hinhaltenden Widerstand und ein tiefgestaffeltes System von Sperren, wobei Widerstand an Inn, Salzach, Traun und letztlich Enns zu leisten gewesen wäre. Diesen Widerstand hätte die oberösterreichische 4. Division zumindest so lange leisten müssen, bis die „Westarmee“, das Gros des österreichischen Heeres, bestehend aus der 1., 2., 3. und 5. Division, entlang der Westbahnlinie zwischen Linz und Wels ausgeladen worden wäre. Zur Sicherung von Linz und als beweglicher Arm der oberösterreichischen 4. Division wäre die „Schnelle Division“ eingesetzt worden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung