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„Wir sagen nur Heimatluft und zwinkern uns zu"

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1991 wurde dem Roman „Die Wolfshaut" und dessen Autor Hans Lebert die Anerkennung zuteil, die ihm 1960 versagt blieb. Über die literarische Bedeutung des Werkes wurde heuer alles gesagt. Über die Gründe, daß es ein Geheimtip blieb, weniger.

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1991 wurde dem Roman „Die Wolfshaut" und dessen Autor Hans Lebert die Anerkennung zuteil, die ihm 1960 versagt blieb. Über die literarische Bedeutung des Werkes wurde heuer alles gesagt. Über die Gründe, daß es ein Geheimtip blieb, weniger.

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Der mit Symbolen aufgeladene Roman ist ein Schlüsselwerk über einen moralischen Zustand. Sein sang-und klangloses Untergehen im Jahre 1960 ist ein weiterer Beweis für Österreichs verlotterten Umgang mit seiner Vergangenheit. Lebert: „Man möchte sich das Gehirn herausnehmen, um es zu kratzen." Doch im späten Echo ging etwas unter: Die atemberaubende Stimmigkeit des Handlungsskeletts, der vordergründigen zeitgeschichtlichen Komponente.

„Die Wolfshaut" spielt in einem fiktiven Dorf namens Schweigen, die Bahnstation heißt Kahldorf. Kahldorf-Schweigen. Bei aller Wucht, aller diagnostischen Unbarmherzigkeit, mit der „Die Wolfshaut" den Zustand eines Staates zeigt - er stimmt auf schreckliche Weise auch im Lokalen.„An das Sterben ist man auch hierorts gewöhnt, jedenfalls eher als an das Denken."

Lebert baut kunstvoll Spannung auf. Man erfährt lange nicht, was Schweigen verschweigt. Einen Mord offenbar, begangen im Krieg in einer aufgelassenen Ziegelei. Langsam führt Lebert näher an die Sache heran. In Schweigen ist kurz vor Kriegsende Grauenhaftes geschehen: Da die fremden Zwangs-arbeiternicht mehrabtransportiert werden konnten, wurden sie von den Schweigener Nazis in Eigeninitiative erschossen.

Hans Lebert war wohl ein wacher Zeitgenosse der Nachkriegszeit. Viele Dörfer hätten damals Kahldorf-Schweigen heißen können. Etwa Felixdorf. Die „Engelmühle", in der über 2.000 nach Niederösterreich verschleppte Juden starben, steht nicht mehr. Ein Wiener SS-Oberscharführer erschlug gleich beim Ausladen Dutzende. „Wir sind eben zur Härte erzogen worden" sagte er vor Gericht. Der Angeklagte habe halt strenge Ordnung gehalten, meinte ein Zeuge und entfernte sich grinsend. Er wird wohl nicht mehr leben. Aber - wie denkt man in seiner Familie heute über die Ausländer?

Schweigen ist überall Ob in Wolfsbrunn, Niederösterreich, zwischen den Familien des Bauern, der noch vor der Verhandlung vor dem Sondergericht Selbstmord verübte, und denen des Nazi-Vizebürgermeisters und Bürgermeisters, die wegen einiger an einem Sonntag im August 1939 im Wirtshaus gefallener regimekritischer Äußerungen mit einer Anzeige zur Kreisleitung rannten, nichts mehr schwelt?

Kahldorf-Schweigen ist auch in Gmünd, wo am 23. Dezember 1945 auf dem Bahnhof 1.600 Juden eintrafen und bei zehn Grad Kälte auf dem nackten Beton schlafen mußten, so daß in zwei Wochen 500 starben. Der Leiter des Gesundheitsamtes erreichte, daß der, Boden mit Stroh bedeckt wurde, aber als Belastungszeuge fiel er um.

„Wir bleiben wir", läßt Hans Lebert seinen Bauern Rotschädel sagen, „,Was auch immer kommen mag.' ,Aber', sagte Habergeier und hob den Finger, ,man muß den Anschluß finden, man muß mit der Zeit gehen.' ,Sehr richtig! Man muß mit der Zeit gehen. Man muß den Anschluß finden.' Habergeier (plötzlich die Hand auf dem Herzen und so das Bartende gegen die Weste pressend): ,1m übrigen - ihr wißt ja - ich bin niemals dafür gewesen.'" Ja, Österreich hat den Anschluß gefunden.

Da Lebert ein Dichter ist, hat „Die Wolfshaut" wohl kein direktes Vorbild. Aber die Parallele zu Rechberg, Burgenland, ist bestechend. Es gibt im Roman mehrere Morde und einen Mann, der alles aufdeckt und dafür fast mit dem Leben bezahlt.

In der Rechberger Realität gab es kein Entkommen. Am Abend des 24. März 1945 blieben auf dem Bahnhof 200 kranke Juden zurück. Im März 1946 wurden 170 Leichen exhumiert. Sie lagen in Gruben im Wald, zum Teil aber sogar unter dem Hauptplatz verscharrt. Es gelang später in 14 Verhandlungstagen nicht, festzustellen, wer von den Rechberger Nazis wann wo anwesend war, wer was gesehen oder gewußt, wer mehr, wer weniger, wer gar nicht mitgemordet hat. Nur einer von zwei Schuldsprü-

chen lautete auf „entfernte Mitschuld am Mord".

Ein Zeuge war so unvorsichtig gewesen, offen zu sagen, er werde der Polizei sein Wissen mitteilen. Man fand ihn einen Tag vor der Einvernahme neben seinem erschossenen Hund halb verkohlt im Wald. In derselben Nacht brannte sein Haus ab und mit der Wohnungseinrichtung der Schreibtisch mit allen Papieren. Die Angeklagten des Judenmordprozesses waren, als dies geschah, in Haft. Das Gericht registrierte nun bei Angeklagten wie Zeugen kollektiven Gedächtnisverlust. Er hält bis heute an. Der Fall ging in die Nachkriegsgeschichte ein.

Lebert im Roman: „Ein Aas, gut vergraben und auch gut vergessen, doch gerade weil man es so gut vergraben und vergessen hat, hält es sich und stinkt mit jedem Tag ärger. Man riecht es nicht. Aber man atmet es ein und haucht es seinem Nächsten wieder ins Gesicht; man hat den Mund, man hat die Lungen voll davon und bekommt es langsam in den Blutkreislauf. Gott sei Dank! Wir sind gefeit, wir sind immun. Wir sind an unser Klima schon gewöhnt. Wir sagen nur ,Heimatluft' und zwinkern uns zu und werden niemals etwas Übles riechen."

Das war symbolisch wahr und zugleich handfest wahr, und das hielt Osterreich wohl nicht aus.

DIE WOLFSHAUT. Von Hans Lebert. Europaverlag, Wien 1991. 500 Seiten, öS 348,-.

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