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„ein phänomen unserer zeit ist, daß wir behaupten, keine zeit zu haben.“ (h. böll, irisches tagebuch)

kann man zeit haben? kann man auch keine zeit haben? oder sind die tage in den letzten jahrzehnten kürzer geworden? warum leiden alle unter zeitdurck? warum haben wir keine zeit mehr? für uns, für einander?

ich weiß es nicht! ich habe auch nie zeit, wenn ich etwas schönes erlebe, wenn ich etwas gerne tue. zeit habe ich immer nur, wenn ich am vormittag in der schule sitze, wenn ich dort vor mich hinträume, die hoffnung, oder die einbildung, die mir bleibt, ist, daß sich nach der matūra sowieso alles ändert, wann werde ich aber jemals zeit haben? zeit für mich und für meinen nächsten? wann werde ich einmal das, was ich tun möchte, auch tun können?

wir stecken doch jetzt - als Schüler - schon alle in einem ungeheuer genauen und präzisen Zeitplan, der oft so erdrückend wirkt: 8 jahre Schulzeit, immer mit der hoffnung, daß sich nachher alles ändert bzw., daß sich nachher alles ändern muß.

danach - mit schwindender hoffnung auf die große Weitveränderung - das Studium und dann hast du’s endlich geschafft: auch du bist ein junger, mündiger Staatsbürger und - kannst in eine adäquaten beruf all deine fähigkeiten und Vorzüge ausnützen.

aber wo bleibt die hoffnung, die hoffnung, die dich so lange aufgerichtet hat? die hoffnung, einmal zeit zu hagen, die hoffnung, einmal für einen anderen da zu sein, die hoffnung, später einmal alles ganz anders und besser zu machen ...

diese hoffnung wird später höchstens einmal als .jugendtorheit“ bagatellisiert, denn heut wiss’ma scho längst, wo’s hingeht.

ich habe wirklich angst, daß ich aus meinem leben genausowenig heraushole, wie die meisten men- schen, die ich täglich sehe, „leben - Vergegenwärtigung aller möglich- keiten“ (max frisch), aber wie?

„komm wir brechen heut aus und dann stellen wir uns gegen den wind“ (konstantin wecker). ausbrechen aus der gemeinschaft, aus der gesellschaft, aus diesem grauslichen land Österreich.

aber ist das nicht feigheit, flucht und außerdem: löst eine flucht nach nirgendwo alle meine probleme???

ich weiß es nicht, die alternative wirkt aber unheimlich verlockend, „where do i go?“ - „ich gehe nirgendwohin“ (hair/peter turrini). dorthin, wo’s keine uhren gibt...?!

grüßt meine mamma.

Aus der Schülerzeitung „Löwe“ (Theresianum, Wien)

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