3.500 Jahre und kein bisschen spröde

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Fast 400 Gegenstände aus der Bronzezeit hat ein Hobby-Archäologe im Tiroler Bezirk Landeck auf der Pillerhöhe entdeckt. Schmuck, Schwertklingen und der älteste, je in Österreich gefundene Helm haben die dreieinhalb Jahrtausende ihres Bestehens beinahe unversehrt überdauert.

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Fast 400 Gegenstände aus der Bronzezeit hat ein Hobby-Archäologe im Tiroler Bezirk Landeck auf der Pillerhöhe entdeckt. Schmuck, Schwertklingen und der älteste, je in Österreich gefundene Helm haben die dreieinhalb Jahrtausende ihres Bestehens beinahe unversehrt überdauert.

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Schwerter, Sicheln, Lappenbeile und Lanzenspitzen, Schmuck und ein verknitterter Kübel, der sich als Helm entpuppt: alle Gegenstände sind aus Bronze. Verbindungsteile wie Lederriemen und Bänder sowie Holzteile sind in einwandfreiem Zustand. Alter der Gerätschaft: rund 3.500 Jahre. Gefertigt also in der Bronzezeit.

Was von der Tiroler Pillerhöhe, nahe Fließ, geborgen wurde, sprengt die kühnsten archäologischen Erwartungen. In seinem Fundbereicht hat Professor Gerhard Tomedi vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Innsbruck nicht weniger als 380 Einzelstücke verzeichnet. Ein "durchschnittlicher" Fund umfasst rund 20 Stücke. Auch von der Qualität der Objekte her kann man bereits vor dem endgültigen Abschluss der Auswertungen von einem außergewöhnlichen archäologischen Ereignis sprechen. Der anfänglich als Kübel verkannte Bronzehelm wäre schon allein spektakulär: Er ist der älteste bisher in Österreich gefundene Helm. Ein Vergleichsstück vom Pass Lueg in Salzburg ist erheblich jünger. Ein weiteres, besonderes Fundstück ist eine Flügelnadel von einem halben Meter Länge - inklusive Schaft. Das dekorative Stück "mit zwei Ohrwascheln links und rechts", das wahrscheinlich auch praktische Zwecke erfüllte, ist wegen seiner enormen Länge ein Unikum.

Der Archäologe Anton Kern, "Beschützer" der Venus von Willendorf im Wiener Kunsthistorischen Museum, ist selbst bei jährlichen Grabungen in Hallstatt auf beachtliche Gräberfunde gestoßen. (Die Hallstattzeit schließt periodenmäßig an die Bronzezeit an. Anm. d. Red.) Doch auch er ist von der außergewöhnlichen Entdeckung in Tirol begeistert und spricht von einer "Sternstunde" im Arbeitsleben eines Archäologen. Ein Ausmaß von fast 400 Einzelstücken sei tatsächlich beträchtlich, bestätigt der Grabungsexperte exklusiv der furche.

Grabungsglück Wie war es überhaupt zu diesem Fund gekommen? Der Tiroler Sägewerksbesitzer Franz Neururer, ein Hobbyarchäloge, hat sich wie so oft an Stellen auf die Suche gemacht, die fundverdächtig sind. So auch vorvergangenen Samstag, an dem er sich die Pillerhöhe zum Ziel machte. Eine Halbhöhle war ihm schon früher aufgefallen, doch diesmal wollte er sie näher untersuchen. In einer Felsrinne bemerkte er unter einem Stein ein Metallstück und rollte ihn weg, um den metallenen Gegenstand besser zu sehen ... Von den Ausmaßen seiner Entdeckung ahnte er zu dieser Stunde freilich noch nichts. Er deckte die Stelle wieder sorgsam ab und berichtete Tags darauf einem befreundeten Hobbyarchäologen von seinem Fund. Schließlich wurde auch Professor Gerhard Tomedi von der bemerkenswerten Entdeckung in Kenntnis gesetzt. Noch am gleichen Tag marschierte er schließlich gemeinsam mit Bundesdenkmalpfleger Johann Pöll, Mitarbeitern und Familienmitgliedern als "Trägern" zur angegebenen Stelle. Der Fundort - ein enges Tal mit schroffen Bergseiten, sumpfigem Talboden und einem "Urwald" mit Totholz - ist auf der Verbindung zwischen Kaunertal und Pitztal gelegen, in deren Nähe bereits Objekte aus der Eisenzeit gefunden wurden. Die Wissenschafter legten daraufhin die Stelle frei, wagten einen ersten Befund und deckten zum Schluss die Stelle wieder sorgfältig ab.

Am Folgetag rückte man bereits mit "voller Mannschaft" ein. Auch Hobbyarchäologen des privaten Vereins "Archaeo Tirol", die gerade an der Notgrabung am Bergisel im Einsatz sind, wurden mobilisieren. Die Kooperation mit dem gut ausgestatteten Verein ist allein deshalb notwendig, weil für Notgrabungen keine staatlichen, finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, betont Tomedi. Im Laufe der Arbeiten wurde bald klar, dass es sich nicht um einen herkömmlichen Fund handelt. Schließlich wurden nicht weniger als 352 Fundnummern an 380 Einzelstücke vergeben.

Die große Anzahl der Objekte wirft neue Fragen auf: Was war etwa der ursprüngliche Zweck eines solchen Metalldepots? Die gefundenen Bronzegegenstände sind unversehrt, ebenso die Verbindungselemente aus Leder sowie die Holzteile. "Über den Grund des Depots gibt es kontroversielle Theorien", weiß Gerhard Tomedi. "Die eine besagt, dass bestimmte Materialien nach deren Gebrauch gesammelt und wiederverwertet werden sollten; hier würde es sich um ein Recyclingdepot handeln. Die andere geht von einem kultischen Verwendungszweck aus." Dafür, dass es sich um ein Weihedepot oder eine Opferstätte handelt und nicht um ein Materiallager, sprechen nach Ansicht Tomedis die unversehrten Lederriemen und die Holzschäfte der Lanzen.

Alte Weihestätte Diese Theorie wird auch von seinem Wiener Kollegen und Hallstatt-Experten Anton Kern bestätigt. Sich von einer wertvollen Bronzewaffe zu trennen, bedeutete für den Bronzezeitmenschen ein großes Opfer. Auch sei eine Kultstätte in der Nähe von Pässen und Gebirgsübergängen naheliegend, vor allem wenn man bedenkt, dass der Mensch den Naturgewalten im Gebirge ausgeliefert war. "Plötzliche schwere Gewitter im Sommer und Kaltwettereinbrüche mit Schneefällen während der Zwischenjahreszeiten sind keine Kleinigkeit. Darüber hinaus mussten die Bergbewohner gefährliche Aufstiege überstehen."

Vor einem ganz anderen Problem stehen nun die Wissenschafter: Zwar stehen genügend Experten zur Verfügung, um die Objekte zu restaurieren, zu konservieren, zu zeichnen und auszuwerten, jedoch mangelt es an Geld. Vor allem fehlt jene Summe, die nötig wäre, um den umfangreichen Fund in absehbarer Zeit zu bearbeiten. Ob die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die aus der Aufarbeitung der bronzenen Gegenstände gewonnen werden, auch als "ideeller Schatz" gehoben werden können und in welchem Zustand die Objekte weiter gelagert werden, hängt von den finanziellen Ressourcen ab.

Einen Platz, wo die Öffentlichkeit die Fundstücke nach Abschluss der Arbeiten bewundern kann, ist hingegen schon gefunden. Die Gemeinde Fließ hat bereits für die eisenzeitlichen Funde ein Museum eingerichtet. Hier könnten auch ihre älteren Kollegen aus der Bronzezeit eine endgültige Heimstatt finden.

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