Orthografie und andere Plagen

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Die Deutsch-Bildungsstandardtests bei Zehnjährigen haben große Defizite offenbart. Nun kommen 14-Jährige und Maturanten dran. Was die Jungen (nicht mehr?) können.

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Die Deutsch-Bildungsstandardtests bei Zehnjährigen haben große Defizite offenbart. Nun kommen 14-Jährige und Maturanten dran. Was die Jungen (nicht mehr?) können.

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Das Ergebnis, das Ende März vom Bundesinstitut für Bildungsforschung (Bifie) präsentiert wurde, war Wasser auf die Mühlen aller Kulturpessimisten: Nur 29 Prozent der Viertklässler an Österreichs Volksschulen erreichen oder übertreffen demnach im Fach Deutsch die vorgegebenen Bildungsstandards. Die anderen 71 Prozent haben zumindest in einem der vier Teilbereiche - Lesen, Textproduktion (Schreiben), Sprachbetrachtung (Grammatik) und Hören -massive Probleme. 15 Prozent verfehlen die Bildungsziele sogar durchgängig; und beim Schreiben sind die Leistungen am schwächsten.

Vererbte Bildung als Problem

Für den Wiener Bildungsforscher Stefan Hopmann in Summe ein "katastrophales" Ergebnis: "Die Kinder tragen diesen Mangel ja in die nachfolgenden Schulen hinein." Wie groß das Sprach-Defizit schon jetzt bei den 14-Jährigen ist, wird man ebenfalls bald erfahren: Erst diesen Mittwoch hat das Bifie die Deutsch-Bildungsstandardtests für die 8. Schulstufe durchgeführt. Rund 80.000 Schülerinnen und Schüler der 4. Klassen AHS bzw. Neue Mittelschule (NMS) mussten dabei in den vier Bereichen Lesen, Schreiben, Sprachbewusstsein sowie Zuhören und Sprechen ihr Bestes geben. Die Ergebnisse werden 2017 erwartet.

Einmal mehr wird sich hier wohl offenbaren, was auch bei den Zehnjährigen deutlich wurde: der enge Zusammenhang zwischen der Bildung der Eltern und der Leistung der Schüler. Kinder aus Akademikerhaushalten erreichen etwa beim Rechtschreiben um durchschnittlich 92 Punkte mehr als solche aus bildungsfernen Familien. Im Vergleich zum Jahr 2010 geht die Schere zwischen den schwächsten und den stärksten Schülern auf, insgesamt bleiben die orthografischen Leistungen aber gleich.

Doch wie sieht es bei den Maturantinnen und Maturanten aus? "Es gibt dazu keine objektiven Daten. Man kann die standardisierten Ergebnisse von heute nur mit den Gefühlen von früher vergleichen", betont Werner Wintersteiner, Deutschdidaktiker an der Uni Klagenfurt und Leiter jener Experten-Arbeitsgruppe, die im Auftrag des Bifie das Konzept der Deutsch-Zentralmatura erarbeitet hat."Dass die Schüler immer weniger rechtschreiben können, wurde aber schon immer beklagt."

Die Kritik, dass spätestens die neue Deutsch-Matura in den orthografischen Nihilismus führe, weist Bifie-Chef Jürgen Horschinegg jedenfalls zurück: "Die Rechtschreibung ist nach wie vor ein relevanter Bestandteil, aber zum Glück kein alleiniges K.O.-Kriterium mehr", betont er. Im Vordergrund stehe die Fähigkeit, sich argumentierend bewegen zu können. Auch Werner Wintersteiner sieht das so: Sprachrichtigkeit sei wichtig, würde aber im deutschsprachigen Raum - anders als etwa in angloamerikanischen Einwanderungsgesellschaften -nach wie vor ideologisch überhöht, frei nach dem Motto: Wer nicht rechtschreiben kann, ist nicht intelligent. Davor müsse man sich hüten.

Auch die Kritik an der Komplexität des Beurteilungsschlüssels weist Wintersteiner zurück. Nun würde immerhin ein Kriterienkatalog existieren -im Unterschied zum früheren anything goes. Dass allein die Klassenlehrkraft den Text beurteilt und es kein Vieraugenprinzip mit einer externen Person gibt, kritisiert er freilich. Dies sei ein "fauler Kompromiss", der aus finanziellen Gründen und gegen den Willen der Arbeitsgruppe Deutsch geschlossen worden sei.

Literatur als reine Elitesache?

Bleibt noch die Frage, wieviel Ahnung Maturanten von Literatur haben müssen. Jürgen Horschinegg verteidigt den Entschluss, keinen Werkkanon vorzugeben. "Wenn, dann müsste man hier bis zu 200 Werke hineinschreiben. Aber die Matura ist ja kein Propädeutikum für Minigermanisten." Werner Wintersteiner hofft indes, dass Literatur auf allen Schulstufen aufgewertet wird. Erst Ende März hat das "Österreichische Forum Deutschdidaktik" bei einer Enquête über "Literaturunterricht in Österreich" konkrete Forderungen formuliert: etwa eine zusätzliche Stunde Deutsch in der Sekundarstufe I, die dem Literaturunterricht gewidmet ist; oder größere Sensibilität im Umgang mit anderen Erstsprachen, weil Literatur einen großen Beitrag zur Integration leisten könnte. "Wenn man nur darüber redet, was man bei der Matura verlangen könnte -und es zugleich die Möglichkeit gibt, etwa anderes zu wählen, verkommt Literatur zur Elitesache", so Wintersteiner. "Und das wäre schlimm."

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