Ein Kämpfer wird selig

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Marco d'Aviano, Gegenreformator und "Retter Wiens vor den Türken", war ein Kind seiner Zeit.Seine bevorstehende Seligsprechung befremdet Protestanten wie Muslime.

Als er am 13. August 1699 um 11 Uhr im Beisein des Kaisers verstarb, waren die Wiener und Wienerinnen erschüttert. In Scharen erwiesen sie ihrem "Retter Wiens vor den Türken" die letzte Ehre, bevor er vier Tage später in der Klostergruft der Kapuzinerkirche in Wien beigesetzt wurde.

304 Jahre später ist Marco d'Aviano nur noch wenigen Österreichern ein Begriff. Doch das wird sich ändern. Erstens wird Papst Johannes Paul II. ihn am 27. April selig sprechen. Zweitens wird der Kapuzinermönch in konservativen katholischen Gazetten als Retter des christlichen Abendlandes gegen Muslime und Protestanten gefeiert. Wer war dieser Mönch, dessen überlebensgroßes Denkmal zwischen Kapuzinergruft und -kirche dem Betrachter heute noch das Kreuz entgegenstreckt?

Marco d'Aviano war ein europäischer Wandermissionar. Als Gerichtsmediziner seinen Leichnam untersuchten, der heute unter einer schlichten Glasplatte in der Kapuzinerkirche ruht, fielen ihnen die starken Abnützungen seines Unterschenkelknochens auf - ein Hinweis auf die vielen Fußmärsche des Kapuzinerpaters. Als päpstlicher Legat und apostolischer Missionar führten ihn seine Wege zu vielen Königshäusern, nach Deutschland, Frankreich, Belgien, Holland, in die Schweiz, nach Böhmen und Österreich. Eng befreundet war er mit Kaiser Leopold I., dem er 1680 zum ersten Mal begegnete und dessen Ratgeber er in politischen und religiösen Angelegenheiten wurde.

Diplomat & Volksmissionar

Ein Diplomat und Politiker war dieser Mönch - und einer, der mit kriegerischen Auseinandersetzungen aufgewachsen war: Als 1645 der Krieg zwischen der Republik Venedig und dem Osmanischen Reich ausbrach, riss der gerade 14-jährige Bürgerssohn aus Aviano im Friaul von seiner Schule aus, um "Vaterland und Glauben zu verteidigen", wie es die Biografen beschreiben. Weit kam der junge Mann nicht. In einem Kapuzinerkloster, in dem er Zuflucht suchte, gab man ihm den Rat, schleunigst zu den Eltern zurückzukehren. Die erste Kriegsteilnahme wurde also vereitelt - von den Kapuzinern, in deren Orden Marco 1648 aufgenommen wurde. Es folgten Studienjahre und die Priesterweihe.

Erst 1664 beginnt Marcos eigentliche Karriere: Er erhält das Predigerpatent. Ab jetzt ist er unterwegs als Fest- und Bußprediger, vor Fürsten und einfachen Leuten. Seine Biografen berichten von Massenaufläufen und Wunderheilungen. Marco d'Aviano wird zu dem Volksmissionar der Gegenreformation. Unmissverständlich fordert er die Protestanten auf, in den Schoß der römischen Kirche zurückzukehren. Im Gegensatz zum harschen Antiprotestantismus seiner Zeit sei Marco jedoch gemäßigt und tolerant gewesen, urteilt der katholische Priester und Historiker Jan Mikrut, unter dessen Leitung im Februar ein Symposion über Marco d'Aviano stattfand. Liebevoll habe er seine protestantischen Hörer vom katholischen Glauben zu überzeugen versucht, indem er etwa auf protestantische Bibelfestigkeit verwies und die Katholiken mahnte, sich an ihr ein Beispiel zu nehmen.

Ein "Antiprotestant"?

"Das ist Käse", kommentiert Gustav Reingrabner, Professor für Kirchenrecht an der Wiener Evangelisch-theologischen Fakultät solche Rechtfertigung: "Verweise auf die Vorbildhaftigkeit der anderen gehören zum Predigtstil der damaligen Zeit. Sie verlaufen immer nach dem Motto: Wenn sogar die Gegner dies und jenes tun, dann müsst doch auch ihr es tun! Das ist aber kein Signal des Entgegenkommens, sondern eine Ermahnung an die eigenen Leute. Die katholische Kirche wäre gut beraten, ehrlich zu sein und zu sagen: Marco d'Aviano war ein Antiprotestant. Das gehörte damals in die Zeit, denn es war eine Zeit des Kampfes gegeneinander. Wir sollten aber nicht Richter über Dinge sein, die lange vorbei sind."

Ähnlich äußert sich Michael Bünker: Der evangelische Oberkirchenrat glaubt nicht, dass die Seligsprechung ein Problem für die Ökumene werden könnte, aber: "Ein ökumenisch weiterführendes Signal ist das natürlich nicht! Vielmehr kommen mit dieser Seligsprechung unerledigte Konflikte auf den Tisch, die man ja auch gemeinsam mit den Protestanten bearbeiten könnte, anstatt eine schwache Verteidigung aufzubauen."

Besorgniserregender als Marcos Verhältnis zu den Protestanten ist die Gefahr seiner Instrumentalisierung gegen Ausländer und vor allem gegen Muslime. Maximilian Liebmann, emeritierter Kirchenhistoriker in Graz, hat die Bischofskonferenz in einem Gutachten schon vor einigen Jahren gewarnt: "An der Glaubenstreue und dem vorzüglichen Leben Marco d'Avianos habe ich keine Zweifel. Doch der Grad des Missbrauchs, den man mit ihm betreiben kann, ist viel höher als bei anderen Seligen."

Solche Bedenken wurden beim Symposion über Marco nicht diskutiert, denn Liebmann war nicht eingeladen. Vom Symposion erfuhr er "von der Furche". Seine Befürchtungen sind aber nicht aus der Luft gegriffen. Schon einmal - während des Ständestaates - wurde der Kapuziner zur christlichen Identifikationsfigur gegen alles Fremde hochstilisiert. Marco-d'Aviano-Feiern und Straßensammlungen für sein Denkmal ließen 1934 /35 den Mythos vom "Verteidiger des christlichen Abendlandes" aufleben.

Dieser Mythos wird heute noch beschworen: Am 30. März, bei einem Gottesdienst in der Kirche auf dem Leopoldsberg, sprach Kardinal Christoph Schönborn davon, dass das Christentum heute zwar keinen blutigen, aber einen "geistlichen Kampf" brauche, der "im Innern", "in den Herzen" stattfinde; er erinnerte daran, dass Marco 1683, vor der für das Schicksal der Christenheit und Europas entscheidenden Schlacht gegen die osmanischen Belagerer Wiens, alle "zum Gebet aufgerufen" habe.

Marcos Mission 1683

Marcos Mission bei der Befreiung Wiens verlief weit erfolgreicher als sein erster persönlicher Kreuzzug als 14-Jähriger. Am 4. September 1683 nahm er als päpstlicher Legat am Kriegsrat der Führer der Entsatzarmee in Tulln teil. Die Lage war verzweifelt, Wien von allen Seiten eingeschlossen, Hunger und Seuchen wüteten. Doch die Armeeführer stritten über den Oberbefehl.

Es war schließlich Marco d'Aviano mit seinem diplomatischen Geschick, der die Kompromissformel fand: Jeder Fürst befehligt seine Abteilung, doch das nominelle Oberkommando kommt dem Ranghöchsten am Platz zu, dem polnischen König Jan Sobieski. Derart geeinigt zog das Heer in die entscheidende Schlacht vom 12. September 1683. Der Ausgang ist bekannt: Wien wurde befreit, die türkische Armee geschlagen.

Und Marco? Markus von Aviano, heißt es in einem Bericht, "welcher die ganze Schlacht hindurch, wo die Gefahr am größten gewesen, mit einem Crucifix in der Hand, von einem Ort zum andern gegangen", habe das Heer gesegnet und den Soldaten Mut zugesprochen.

Interreligiöses Porzellan

Nicht gerade ein Pazifist, dieser Kapuzinermönch. "Doch wir säßen heute nicht hier, wäre Wien damals nicht verteidigt worden", sagt der Postulator des Seligsprechungsprozesses, der Kapuzinerpater Vincenzo Criscuolo. Die Gefahr einer Instrumentalisierung sei aber - besonders in diesen Kriegszeiten - nicht von der Hand zu weisen. "Schreiben Sie aber bitte ganz deutlich: Marco d'Aviano hat gegen ein weltlich-politisches Reich im 17. Jahrhundert gekämpft, nicht gegen eine Religion!"

Auch wenn dieser Wunsch hiermit erfüllt sein soll - interreligiöses Porzellan ist in diesen Zeiten sehr zerbrechlich. Anas Schakfeh, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, drückt seine Verwunderung über die Seligsprechung aus. "Warum wird jetzt plötzlich nach vielen Jahrhunderten jemand selig gesprochen, der für den Krieg gepredigt hat? Für die damalige Zeit war das verständlich, damals haben sich die Menschen verteidigt. Aber für heute ist das unverständlich. Gerade jetzt brauchen wir doch eine Kultur des Friedens! Der Papst in Rom weiß das. Doch die Lobby, die in Rom diese Seligsprechung betrieben und die Geister der Vergangenheit heraufbeschworen hat, will anscheinend Abgrenzung statt Frieden."

Provinzsekretär P. Gottfried Undesser vom Kapuzinerorden wehrt sich gegen diese Vorwürfe: "Mein größter Wunsch angesichts der aktuellen Lage ist ein gemeinsames Friedensgebet mit den Muslimen." Der Seligsprechungsprozess sei bereits seit 1912 im Gang, der Termin der Seligsprechung lange vor dem Irakkrieg fixiert worden. Außerdem habe man auf allen Foldern das Gebet Marcos abgedruckt: "Wir wollen allein den Frieden. Den Frieden mit dir, o Gott, den Frieden mit uns selbst und den Frieden mit allen unseren Nächsten." Der neue Selige hat dieses Gebet vor der Schlacht um Wien gesprochen.

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