Einfall des Nicht-Alltäglichen

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Der Abgesang auf Religion in der modernen Welt ist so alt wie die Moderne selbst. Dagegen regt sich auch Widerstand: In der "Langen Nacht der Kirchen" sollte das Eis großstädtischer Säkularität gebrochen werden.

Normalerweise ist auf Dietrich Bonhoeffer Verlass. Als visionärer Theologe diente er immer wieder als treffender Stichwortgeber. Und so zitieren kirchen(selbst)kritische Beiträge gern die Bonhoeffer'sche Prognose: "Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen. Die Menschen können einfach, so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein." Doch in jüngster Zeit werden offen Zweifel angemeldet: Religionssoziologen attestieren einen "Megatrend Religion", Naturwissenschaftler suchen das "Gottes-Gen", und die Medien scheinen seit Papsttod und -wahl "rekatholisiert".

Am vergangenen Wochenende sollte nun - so die Hoffnung der Veranstalter - ein weiteres Ereignis Bonhoeffers Pessimismus widerlegen: die erste Wiener "Lange Nacht der Kirchen". Neugierig machen sollte sie, Interesse für Kirche und Religion wecken. Spätestens mit dem gleichzeitigen Glockengeläut der über 180 Kirchen Wiens am Freitagabend um kurz vor 18 Uhr konnte man sich dieser Einladung kaum mehr entziehen. Auf der Suche nach dem "homo religiosus" führte mich die Nacht durch sechs Kirchen.

"... die Kirch'n ausg'steckt"

Mit klarem, durchdringendem Ton warb die Glocke der Weinbergkirche in Döbling um ihre Gäste. Und diese kamen in Scharen in die kleine evangelische Kirche, um dort vom emeritierten Superintendenten H.B. Peter Karner und dem "Duo Hodina" musikalisch den Zusammenhang von Wienerlied, Heurigem und Frömmigkeit erklärt zu bekommen. "Heut' Nocht hob'n die Kirch'n ausg'steckt!" erklärte Karner vollmundig, und schon fiel das Publikum lauthals ein: "Ana hot imma des Bummerl". Religion, so Karner, das sei Leben und Sterben, Freude und Trauer, alles unter einem Dach - und wenn es das Dach eines Heurigen ist.

Gewärmt vom Wein und vom Gefühl, dass der Herrgott eigentlich nur in Wien zu Hause sein kann, trug es mich weiter zur Lainzer Konzilsgedächtniskirche. Jung, modern und katholisch - und so quoll mir, kaum dass sich die Türen der Straßenbahn öffneten, bereits laute Rockmusik entgegen: "Reich mir die Hand" und "Praise the Lord". Im zur Bühne umfunktionierten Altarraum sang und rockte die Pfarrband Aquaviva ihren Lobpreis heraus. Bloß: Kaum 20 Besucher wählten an diesem Abend die charismatische Variante des "Megatrends Religion".

Erschöpft von E-Bass und Drums verlangten Ohr und Seele nach Ruhigerem. Und so ging ich nur wenige Meter weiter in den Gottesdienst der syrisch-orthodoxen Gemeinde in der alten Lainzer Pfarrkirche. Schwere Schleier frischen Weihrauchs in der Luft, angezogen, ja verzaubert und doch mit einer gewissen Unsicherheit, in der man dem völlig Fremden gegenübertritt, wohnten wir Besucher der intimen Feier bei. Bewegt flüsterten zwei ältere Damen, dass sie immer schon wissen wollten, wie ihre alte Pfarrkirche nun von innen aussehe. Bisher hatten sie sich nur noch nie getraut. So soll Ökumene aussehen: vorsichtig, tastend und voller Neugier für den anderen.

"Dann unbedingt im Himmel"

Irgendwann in dieser Nacht musste "er" sein: der Stephansdom. Von der U-Bahn auf den großen Vorplatz gespült, ließ ich mich durch das Hauptschiff treiben und hinab in die Gruft. Rechts stehen, links gehen - auch am Sarg von Kardinal König galt diese Regel. Fotoapparate blitzten, Handys läuteten.

"Ein voller Erfolg", schwärmte eine Mitarbeiterin der "Langen Nacht"-Aktion am Eingang und drückte mir strahlend ein weiteres Pickerl mit dem offiziellen Aktions-Emblem auf die Jacke.

Nicht minder strahlten die Zisterzienser im Heiligenkreuzerhof, einer ruhigen und besinnlichen Insel inmitten der Großstadtwogen des ersten Bezirks: Nach kaum zwei Stunden seien ihnen bereits der Wein und die Würsteln ausgegangen. Auch spiritueller Erfolg lässt sich messen. In der bis auf den letzten Platz gefüllten, hochbarocken Bernardikapelle hingen die Menschen an den Lippen von Pater Karl. Mit der Sicherheit eines bühnenerfahrenen Entertainers führte er mit leichter Hand erzählerisch durch sein Kloster, durch den Alltag des "Ora et labora", durch Vigil, Vesper und Komplet und entließ uns mit einem warmen "Wir sehen uns in Heiligenkreuz - und wenn nicht, dann unbedingt im Himmel".

Hier war sie da, die Stimmung, die ich mir - ohne sie freilich tatsächlich zu erwarten - für diese Nacht erhofft habe. Jene Mischung aus feierlicher Ernsthaftigkeit, aufrichtiger Neugier und auch Rührung. So "gab" ich mir noch die Stanislauskapelle nahe dem Judenplatz. Völlig unscheinbar, in einem einfachen Wohnhaus untergebracht, lud sie zur Stille und zum Resümieren ein. Von außen drang der Lärm eines Straßenfestes durch die schweren Mauern. Auch hier Menschen, die innehielten, die schweigend auf den wenigen wackeligen Stühlen saßen und auf sakrale Kunst starrten, wie auf Dinge von einem anderen Stern.

Großstadtoasen

Bonhoeffer scheint also unrecht zu haben. Die Menschen können durchaus, "so wie sie nun einmal sind", noch religiös sein - wenn man ihnen nur die Chance gibt. Religion, das meint heute nämlich vor allem eines: Unterbrechung, den Einfall des Nicht-Alltäglichen in den Fluss des Alltags. In ihrer Fremdheit können Kirchen so zu Räumen, ja zu Großstadtoasen werden, die dies zu entdecken helfen. "Die Kirche", schrieb Bonhoeffer, "ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist." Diesem anderen, zu dem der Großstadtmensch immer mehr wird, hat sich die Kirche in der "Langen Nacht" ein stückweit geöffnet.

Ich atme auf. Auch diesmal hat mich Bonhoeffer also nicht im Stich gelassen.

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