Steinerne Zeugin der Zeit

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Als prachtvolles Nationaldenkmal und Idealkirche gebaut, nagt der Zahn der Zeit an der Wiener Votivkirche und ihrer Gemeinde.

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Als prachtvolles Nationaldenkmal und Idealkirche gebaut, nagt der Zahn der Zeit an der Wiener Votivkirche und ihrer Gemeinde.

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Perfekter als jedes gotische Vorbild, makellos, als Opfergabe für den Allmächtigen errichtet, galt die Votivkirche zu ihrer Entstehungszeit als vollendeter Sakralbau. Heinrich Ferstel, einer der begabtesten Architekten des Historismus ,hatte sie als Archetyp einer idealen Kirche erbaut. Prominente Auftraggeber waren Erzherzog Ferdinand Maximilian, der spätere Kaiser von Mexiko, und Kardinal Othmar Rauscher, Ursache des Baus ein nationales Ereignis: Am 18. Februar 1853 war Kaiser Franz Joseph I. einem Attentat entgangen.

Aus Dankbarkeit für seine Rettung rief Maximilian zu Spenden für den Bau der Votivkirche auf, aus allen Teilen der Donaumonarchie langten sie ein. 75 Architekten aus ganz Europa beteiligten sich am Wettbewerb zur Kirche, die "in gothischem Stile, welcher ohne Zweifel am besten geeignet sei, dem Aufschwunge und dem Reichthume des christlichen Gedankens durch die Baukunst Ausdruck zu geben" gestaltet sein sollte.

2.700-Seelen-Gemeinde In einer Zeit, in der das Habsburgerreich um den Bestand der Monarchie bangte, sollte die Votivkirche zum Denkmal, zum einigenden Band zwischen Kirche und Staat werden. Wie ein Monument steht sie auf einem Sockel mehrerer Stufen, städtebaulich markant ragen ihre beiden Türme in den Himmel. Geweiht wurde sie am 24. April 1879, dem Silbernen Hochzeitstag des Kaiserpaares. Als Ruhmeshalle für große Österreicher war sie gedacht, noch vor ihrer Vollendung wurde sie zur Garnisonkirche bestimmt. Erinnerungstafeln an Kaiserschützen, Regimenter und an Gefallene der beiden Weltkriege, finden sich bis heute darin. Die Votivkirche ist ein einmaliges Dokument österreichischer Geschichte, eines der Glasfenster, die nach dem Krieg angebracht wurden, ist der Kameradschaft der politisch Verfolgten gewidmet. Es zeigt den kreuztragenden Christus, umgeben von Sträflingen.

Auch heute wird die Votivkirche wieder zum Sinnbild der Gesellschaft: 5.000 (!) Gläubige finden in der Kirche Platz, die jetzige Pfarrgemeinde zählt gerade 2.700 Mitglieder, zwischen 100 und 300 Menschen feiern die Gottesdienste mit, obwohl auch die indische und englische Gemeinde hier ihren Sitz haben. "Der Ostersonntag war großartig, da kamen je 200 aus der Pfarre und der englischen Gemeinde, 400 von der indischen Gemeinde", erzählt Tourismusseelsorger und Pfarrer Joseph Farrugia über den letzten spirituellen Höhepunkt. "Im Bewusstsein der Hotellerie hat sich die Votivkirche als Anlaufstelle für Touristen schon etabliert, die schicken alle zu uns."

Trotz seiner Bemühungen, die Kirche als Vienna International Center mit fremdsprachigen Messen für Touristen zur spirituellen Anlaufstelle zu machen, kann Farrugia die Fakten nicht ändern. 1955 zählte die Pfarre 11.500 Seelen, heute sind es weniger als ein Viertel davon: "Es sind nicht Kirchenaustritte dafür verantwortlich, dass die Gemeinde geschrumpft ist. Die Menschen haben eine sehr starke Bindung an die Pfarre. Die wurde so klein, weil die Gegend zum Wohnen für junge Familien zu teuer ist. Wir haben lauter Büros rundherum, Ärzte, Firmen, Hotels. Rathaus, Universität, Rossauer Kaserne, Parlament, Nationalbank: das ist alles unser Pfarrgebiet."

Am Prunk des Gotteshauses ändert das nichts: An Wandmalereien, Seitenaltären, Kanzel et cetera wurde anno dazumal nicht gespart; dass sie heute noch nicht ganz abgeblättert sind, ist dem Engagement der Pfarrgemeinde und des Pfarrers zu verdanken, die laufend restaurieren, um im "Inneren eine Atmosphäre zu schaffen".

Die Pfarre ist mit den 450 Millionen Schilling, die die Kirche jetzt braucht, jedoch restlos überfordert. Das Geld, das 300.000 Bürger des Habsburgerreiches zum Bau der Kirche gespendet hatten, lässt sich heute zu ihrer Renovierung schwer aufbringen. Zwar strahlt der Nordturm in frisch polierter Schönheit, der Südturm und der Rest der Kirche hingegen sind in so bedenklichem Zustand, dass die Mauern mit einer Planke abgeschirmt werden mussten, um Passanten vor herabfallenden Steinen zu schützen: "So starke Schäden habe ich nicht erwartet. Wir mussten 200 kopfgroße Teile runternehmen. Das ist kein Jux mehr, es wäre grob fahrlässig, hier nichts zu machen", ordnete Architekt Harald Gnilsen, Leiter des Bauamtes der Erzdiözese Wien, den Plankenverbau an. Nun muss etwas geschehen. Wasser kann eindringen und die Substanz weiter angreifen.

Etwa 450 Millionen Schilling werden in den kommenden 20 Jahren nötig sein, das seit seiner Bauzeit kaum gewartete Gotteshaus wieder instand zu setzen. "Die Votivkirche ist nicht nur eine Kirche, sie ist ein nationales Denkmal und wurde als solches gebaut. Nutznießer davon ist die Öffentlichkeit. Auch der Bund sieht das so. Wenn er mehr Geld hätte, würde er mehr beitragen. Wir haben beschlossen, die Summe zu teilen. Ein Drittel zahlt die Stadt Wien, eines die Erzdiözese und eines der Bund", fasst Gnilsen den Finanzierungsplan zusammen. Die Stadt Wien nimmt ihre Verpflichtung für die "Oasen der Seele" durchaus ernst, wie Bernhard Denscher, der Leiter der für Denkmalpflege zuständigen Magistratsabteilung 7, betonte.

"Ich sehe darin weniger ein Problem der Pfarrgemeinde, sondern das einer Kulturnation. Keiner kommt auf die Idee, die Hofburg oder Schönbrunn verfallen zu lassen. Die Rossauer Kaserne ist schon restauriert. Für alles gibt es Geld, nur für die Votivkirche nicht. Dabei ist sie ein Wahrzeichen der Stadt. In die Bundestheater steckt man Millionen, und bei uns macht man einen Rückzieher", meint Pfarrer Joseph Farrugia. "Natürlich brauch' ich fürs religiöse Pfarrleben keine so große Kirche. Ich könnte am Sonntag ins nahe Albert-Schweitzer-Haus gehen, da wäre Platz genug für die Gemeinde. Aber die Leute würden es emotional nicht verkraften. Das ist ihre Kirche, sie sind stolz darauf und sie spenden wahnsinnig viel dafür."

"Tun, was wir können" Fünf Millionen haben die 2.700 Pfarrmitglieder gespendet, um die Orgel zu restaurieren. "Wir tun, was wir können", meint Farrugia. Seit November hat die Kirche auch ein Museum, um 40 Schilling Eintritt sind nach 60 Stufen einer breiten Wendeltreppe der Antwerpener Passionsaltar aus dem 15. Jahrhundert mit herrlichen Schnitzarbeiten, liturgische Geräte, Ferstels Modell und Originalkartons zu den Glasmalereien von Karl Jobst sehen. Am schönsten ist der Blick von oben auf Altarbereich und Kirchenschiff.

Eingerichtet wurde das Museum auf Initiative des Pfarrers unter wissenschaftlicher Beratung von Dr. Arthur Saliger, von der Mittelalter Sammlung der Österreichischen Galerie Belvedere. Die Finanzierung erfolgte durch unentgeltliche Mitarbeit und Sponsoring. "Ich hätte ja genug Ideen, wie man Geld hereinbringen könnte, aber man lässt mich nicht immer", lacht Farrugia. Vieles von dem, was er anfangs gegen Widerstände durchgesetzt hat, wird mittlerweile kopiert. So prangen beispielsweise momentan Plakate auf den schützenden Planken vor der Kirche, Konzerte mit Gospelsingers, Gastchören oder Panflöte veranstaltet die Votivkirche außerdem. "Dafür mussten wir in Sicherheitsmaßnahmen, die die Theaterpolizei vorgeschrieben hat, mehrere 100.000 Schilling investieren", seufzt Farrugia. Die Grenzen, die er für die Benutzbarkeit der Kirche zieht, sind eindeutig: "Wenn ich eine Messe habe, selbst, wenn ich nur mit zwei oder drei Leuten rechnen kann, und einer will an dem Termin ein Konzert machen, dann geht die Messe vor."

Der nächste Schritt zu mehr Einnahmen wird jedenfalls eine Ausweitung der Öffnungszeiten des Museums sein. Das kostet wieder Mitarbeiterzeit, könnte aber zur sinnvollen Investition in die Zukunft werden.

Spenden für die Votivkirche: Renovierungskonto: PSK 7.296.776 Verein der Freunde und Förderer der Votivkirche: PSK 93.039.882

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