Von Assen und Welis

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Mit dem Leben ist es wie mit einem Kartenspiel.

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Mit dem Leben ist es wie mit einem Kartenspiel.

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Ich sitze am Balkon, Vogelgezwitscher, Stimmengewirr von der Straße, Musik spielt leise. Ich trinke Schluck für Schluck meinen Kaffee, blättere in Büchern, Sonnenstrahlen tanzen auf meinem Gesicht.

Da schweifen fast unbemerkt die Gedanken ab, ich beginne über Gott und die Welt zu sinnen, etwa warum nur der Mensch, seit es ihn gibt, auf der Suche danach ist, warum es ihn gibt? Ist denn nicht jeder Mensch dazu da, seinen Beitrag zu leisten, um die Überbevölkerung zu verschärfen, das Ozonloch zu vergrößern, die Meere zu verdrecken, die Regenwälder schrumpfen und die Müllberge wachsen zu lassen sowie das ökologische Gleichgewicht nachhaltig zu destabilisieren?

Faust, O`Neill, Lennon Ist man nicht geboren, um sich von den Seinen zu trennen, Herzen von Mitmenschen zu brechen, die Scheidungsrate zu erhöhen und in zerklufteten Beziehungen aufgeriebene Kinderseelen zu produzieren, ehe man im Alter einsam in öffent1ichen Geriatriezentren überforderte Betreuerinnen anschnauzt? Ist denn nicht die skrupellose Nutzenmaximierung Sinn und Zweck, das egoistische Streben nach eigenem Profit und das Ohne-Rücksicht-auf-den-anderen-Leben zur optimalen Satisfaktion seiner selbst? Vielleicht auch nicht! - Vielleicht ist es doch das Suchen nach jenem Augenblick, dem man wie Faust "Verweile doch, du bist so schön!" zurufen möchte, oder das Streben nach dem Unerreichbaren, das einen, wie Eugene O'Neill sagte, dem Fuße des Regenbogens näherbringt. Oder ist John Lennon nach Leben gar das, was passiert, während man eifrig Pläne schmiedet?

Da hab ich plötzlich eine Geschichte im Kopf: Es trug sich zu, dass viele Menschen zu lhm kamen und fragten: "Was hat das Leben überhaupt für einen Sinn?" Und Er sagte: "Ich sage Euch: Mit dem Leben ist es wie mit einem Kartenspiel. Man betritt die Gaststätte, wird vom Wirt zum Spieletisch geführt, schaut zuerst zu, wird in die Regeln eingeweiht, Routiniers vertrauen einem Erfahrungen an. Ja dann darf man ein bisschen mitspielen, noch mit gehöriger Unterstützung zwar. Aber man lernt und macht seine ersten Schritte. Danach setzt man auf eigene Kassa, und es kann losgehen als vollberechtigter Mitspieler. Man will die Welt niederreißen, das Blatt ist sehr gut, As, Weli*, König - man riskiert, gewinnt, voll Drang und Hoffnung, will es allen beweisen. Nichts scheint Mühe zu bereiten, auch wenn man ab und zu auf die Nase fällt, auch wenn die anderen von ,Anfängerglück' und ,Wirst schon noch sehen!' reden.

Die Zeit schreitet voran, Mitspieler gehen, neue kommen, man muss diese wieder einführen, gerne, sind ja eine Bereicherung, obwohl zur Konkurrenz werden sie einem dann doch einmal! Trotzdem man baut neue Verbindungen auf, schöne Beziehungen, Spaß, Spannung. Wieder neues Spiel, schlechtere Karten, man setzt, verliert - New Deal - setzt, verliert und noch ein Versuch. Manchmal wird es auch ganz schön haarig - eine Pechsträhne, man will das Spiel schon aufgeben, aber Partner reden einem zu, helfen, ja lassen einen vielleicht wieder ins Spiel zurückkommen; auch der Wirt macht Mut: ,Neues Mischen wird neues Glück bringen. Glaub dran!'

Hoffnung, Vertrauen, Angst vor dem Verlassen des Spieltisches - egal warum, man bleibt, spielt weiter, verliert, gewinnt. As, Weli, König ... aus Falten wird wieder ein Lächeln. Man ist wieder ausgeglichener, zufriedener. Zeit vergeht, neue Spieler, gute Spieler reifen am Tisch, und selber wird man allmählich müde, unkonzentrierter, schwächer. Die Routine hilft, aber nur selten noch Glanzlichter wie einst - trotzdem versucht man halt, das zu spielen, was möglich ist, das Beste herauszuholen, die kleinen Erfolge umso stärker zu genießen.

Erinnerungen Und in Erinnerungen schwelgen, an den eigenen Beginn. Es wird immer später, bald sind alle Mitspieler, mit denen man begonnen hat, gegangen und das Spiel ist in der Hand der Neuen, wie es einst in der eigenen war. Man freut sich für die, gibt einige Tipps, wenn sie auch nicht auf einen hören wollen, es bleibt schon was hängen und ganz falsch kann man ja auch nicht gespielt haben all die Zeit. Aber sonst geht nichts mehr. Müde, ausgelaugt, es dürfte die Zeit gekommen sein - der Wirt hilft einem auf, man wünscht der Runde am Spieltisch was, und der Wirt geleitet einen hinauf, weil in seinem Haus hat er schon für jeden ein Zimmer bereitet."

Einer, der dabeistand, fragte: "Und was hat das Kartenspiel überhaupt für einen Sinn?"

Er sagte: "Mit dem Kartenspielen ist es wie mit dem Leben ..." Und die Sonnenstrahlen tanzen weiter auf meinem Gesicht.

* Weli ist eine Spielkarte der doppeldeutschen Karten, die den Wert eines Sechsers trägt, aber in vielen Kartenspielen eine Joker-ähnliche Funktion besitzt.

DER ZWEITE Wolfgang Bartsch wurde am 14. April 1980 in Wien geboren und besuchte dort im 16. Gemeindebezirk in der Liebhartsgasse die Volksschule und das Neusprachliche Realgymnasium am Schumeierplatz. Nach der Matura leistete er an der Martinek-Kaserne in Baden den Präsenzdienst beim Bundesheer, seit Oktober 1999 ist er Student der Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Als seine Hobbies nennt er: Schreiben, Lesen, Sport.

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