Eine magersüchtige Universität

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Es gibt gute Gründe für die Einführung eines Bakkalaureats. Es gibt keine guten Gründe für die Einführung dieses Bakkalaureats.

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Es gibt gute Gründe für die Einführung eines Bakkalaureats. Es gibt keine guten Gründe für die Einführung dieses Bakkalaureats.

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Besonders schwache Argumente dafür, ein "Kurzstudium" dieser Art einzuführen, sind: Es möge helfen, die schwächliche österreichische Akademikerquote aufzubessern. Oder: Auf diese Weise kommen viele Studienabbrecher auch noch zu einem Titel. Oder: Durch den Frühabschluß sinken die Durchschnittsstudienzeiten. Alles das wäre eine Bildungspolitik, deren Hauptziel es ist, bloß eine Verbesserung der Statistik zu erreichen, egal was sich hinter den Daten verbirgt.

Ein etwas stärkeres Argument lautet: Wir leben nicht mehr in den Zeiten elitärer Universitäten mit face-to-face-Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden, wo der akademische Wissenserwerb im Zuge "gemeinsamer Forschung" möglich war, sondern auf Massen-universitäten. Die Kundschaft besteht zum größeren Teil aus Personen, die an Wissenschaft nicht interessiert sind, sondern die eine ordentliche Berufsausbildung zum Zwecke späteren Gelderwerbs haben wollen. Sie sind wissenschaftlich unmusikalisch. Ihnen muß man etwas Handfestes bieten, und da sind am Wirtschaftlichkeitsprinzip orientierte Studien ("lean studies") vielleicht ganz passend. Freilich muß man in diesem Mainstream der akademischen Handwerker nach dem kleinen Grüppchen der Hochbegabten, der Neugierigen, der Ansprechbaren "fischen", und diesen muß man Weiterführendes bieten - was die Universität heute allzu wenig tut.

Es gibt schließlich ein starkes Argument für den Bak-Abschluß: Alle tun es. Das mag zunächst banal und wenig überzeugend klingen. Aber tatsächlich schaut man in der internationalen Szene wenig auf die Feinheiten von Curricula, sondern unterscheidet schlicht nach Erstabschluß und Zweitabschluß. Da es fast überall das Bak als Vorstufe für die "eigentlichen" Studien gibt, werden unsere - unterstellen wir einmal: "hochkarätigen" - Diplomstudien, also die Magistri/-ae und Diplomingenieure, den Bachelors gleichgestellt. Erster Abschluß ist erster Abschluß. Auf eine gute amerikanische Law School kommt man, auch wenn man knapp vor dem Ende eines Jus-Studiums steht, nur schwer, weil der Zugang eben einen Erstabschluß, einen Bachelor, voraussetzt - auch wenn die österreichischen Juristen in spe in ihren bisher absolvierten Studienjahren weit mehr über das Recht gelernt haben als ihre amerikanischen Kolle- gInnen.

Das heißt: Gegen ein gut konzipiertes Bak ist nichts einzuwenden. Aber der Master macht Sorge. Wenn das Bak-Studium, allem Wortgeklingel zum Trotz, eine abgemagerte und verschulte Studienversion darstellt, so kann dadurch das Master-Studium (egal mit welchen Titeln es nun wirklich abschließt) aufgewertet werden, schon deshalb, weil die wirklich "unmusikalischen" Studierenden vorher ausgeschieden sind. Es soll die eigentliche wissenschaftliche Vertiefung bringen, die volle Entfaltung dessen, was Wissenschaftlichkeit ist; es soll den Wißbegierigen die Essenz des Universitären darbieten. Das aber wird es nicht leisten können, wenn es auf zwei Semester zusammengestrichen ist, die mit einer Diplomarbeit und mit Abschlußprüfungen reichlich angefüllt sind. Wo sollen Zeit und Muße für die Vertiefung sein, für das Vorarbeiten in die höheren Sphären einer wissenschaftlichen Disziplin? In den spärlichen zwölf bis dreizehn Semesterwochenstunden, die - nach dem ersten Gesetzesentwurf - für das Masterstudium an Lehrveranstaltungen vorgesehen waren? Da bleibt nur noch eine magersüchtige Universität übrig.

Wenn nun gar noch im Sinne des Gesetzentwurfs die beiden Studienteile nicht im Verhältnis eines ersten und zweiten Studienabschnitts stehen sollen, sondern ein "kreuzweises" Wechseln möglich sein soll - so daß beispielsweise nach drei Jahren Rechtswissenschaft die Vertiefung in Ökonomie oder nach drei Jahren Geschichte die Vertiefung in Philosophie folgen kann - dann fragt man sich, wie diese vertiefenden, wissenschaftlich fortgeschrittenen Lehrveranstaltungen abgewickelt werden sollen: ein hochstehendes Seminar über die neueste Literatur zur Konjunkturtheorie mit Juristen, die noch nie eine Angebots- und Nachfragekurve gesehen haben, und ein Top-Seminar über neueste Entwicklungen zur philosophischen Gerechtigkeitstheorie mit Historikern, die im besten Fall gerüchteweise von Immanuel Kant gehört haben.

Ich fürchte, dies ist nicht der Weg zu Spitzenleistungen. Es ist der Weg zu einer Universität, die ihre eigentliche Lehraufgabe, die wissenschaftliche Lehre, zum Verschwinden bringt.

Mein Alternativvorschlag (in Semestern) lautet: 6 plus 4 plus 4. Dem dreijährigen Bak-Studium muß ein zweijähriges Master-Studium (und später ein zweijähriges und endlich aufgewertetes Doktoratsstudium) folgen. Auch wenn dabei manche vierjährigen Studien zu fünfjährigen werden, könnte - wenn man ein ordentliches Programm durchzieht - immer noch eine Beschleunigung im Vergleich mit den derzeitigen realen Studienzeiten von durchschnittlich sieben bis acht Jahren herauskommen. Aber man könnte ein wirklich vertiefendes Studium machen, vielleicht sogar ein besseres als bisher. Also: für das Bakkalaureat und für ein ordentliches Master-Studium.

Der Autor ist Universitätsprofessor am Institut für Soziologie der Universität Graz.

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