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Studium ins Abseits ?

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Vor zwanzig Jahren begann die Unruhe an den Universitäten. Die Masse der Studenten war mit den Studienbedingungen unzufrieden, die Avantgarde mit dem Staat, der dafür verantwortlich war. Viele der Studentenbewegten sind heute Professoren, manche Minister. Die Studenten sind mit den Studienbedingungen aber immer noch nicht zufrieden. Das ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht anders als in Österreich.

Die unzufriedenen Studenten von heute studieren freilich nicht mehr Soziologie und Politologie, sie haben sich, aus welchen Gründen auch immer, für Biologie oder Informatik entschieden. 1985 wurden an 21 Universitäten beziehungsweise Gesamthochschulen und an 20 Fachhochschulen in der Bundesrepublik Deutschland Studiengänge „Informatik“ angeboten. Fünf davon waren als „Allgemeine Informatik“ spezifiziert,

16 als „Technische Informatik“ und 13 als „Wirtschaftsinformatik“ näher spezifiziert. Die Auslastung der vorhandenen, allerdings bürokratisch rechnerisch ermittelten Studienplätze wurde mit 184 Prozent bekanntgegeben. Für fast die Hälfte der Studenten bedürfte es daher zusätzlicher Studienplätze.

Dafür, daß das Studium der Theorie der Informationsautomaten („Informatik“) und deren Technik („Informationstechnologie“) nicht außer Mode kommt, sorgen schon die Bedarfsmeldungen aus dem Beschäftigungssystem. So setzte etwa 1983 eine deutliche Zunahme der Nachfrage nach Informatikern in Wirtschaft und Verwaltung ein. Dieser Trend dauert an und wird sich aller Voraussicht nach noch einige Zeit fortsetzen.

Werden nun die Informatiker, die einen der „überbelasteten“ Studienplätze ergattert haben, für die zukünftigen Einsatzaufgaben entsprechend vorbereitet? Der Studienplan der Informatik an der Universität Karlsruhe, dem Mekka der bundesdeutschen Informatikstudenten für die ersten vier Semester, weist zunächst 18 Stunden Mathematik, von der Analysis bis zur Numerischen Mathematik, aus. Dazu kommen 36 Stunden Informatik, einschließlich der „Algorithmik“. Es schließen sich 13 Stunden Technische Informatik an, worunter auch die „Einführung in die Rechnerorganisation“ fällt. Erst ab dem zweiten Semester gibt es ein „Ergänzungsfach“, zum Beispiel die Betriebswirtschaftslehre. Die künftigen Informatiker erwartet im ersten - und prägenden - Studienabschnitt fast 80 Prozent „Theoretische Informatik“, vorsichtig ausgedrückt.

Es ist die Frage, ob sich das Beschäftigungssystem genau solche Absolventen von den Universitäten erwartet. Oder ob es nicht lieber junge Damen und Herren einstellen möchte, die von Planung und Organisation, Entwicklung und Produktion, Finanzierung und Vertrieb viel wissen - und mit Informationsverarbeitungsautomaten, also Computern, umgehen können.

Die heutigen Informatik-Curricula sind ebenso wie die traditionellen Universitätsstudien aufgebaut. Mit der Einführung in die Grundlagen wird begonnen, mit der Vertiefung derselben fortgesetzt, als Nachschlag gibt's dann auch noch ein bißchen Anwendungspraxis — zum Probieren gleichermaßen. Das Informatikstudium steht, wie die Mehrzahl der akademischen Ausbildungsgänge, auf dem Kopf. Die Einführung in die Praxis wird von den Hochschullehrern großzügig der Praxis überlassen. Was folgt daraus: Entweder absolvieren die Informatikstudenten noch gleichsam nebenher ein Zweitstudium in dem Berufsfeld, in dem sie ihre Computerkenntnisse anwenden wollen, oder sie geraten gegenüber den „Fachstudenten“, zum Beispiel denen der Betriebswirtschaftslehre, die sich in ihrem Studium EDV-Anwendungskenntnisse erwerben, in erhebliche Wettbewerbsnachteile.

Am Landesinstitut für Erziehung und Unterricht im Industrie- und innovationsfreundlichen Baden-Württemberg hat man sich mit „Qualifizierungstrends“ in der Industrie befaßt und aufgelistet, was die Führungskräfte von morgen von den neuen Informations- und Kommunikationstechniken wissen müssen. Will man ins obere Management, zum Beispiel im Ingenieurwesen beziehungsweise im „Industrial Engineering“, dann muß man etwas über Anwendungen der Microprozessoren wissen, von der Gestaltung komplexer Arbeitssysteme.

Man muß sich ständig und breit über neue Fertigungssysteme und über die Anwendung von Informations- und Kommunikationssystemen darin informieren. Man muß die neuen Techniken für strategische und methodische Planung nutzen und zu neuen Entscheidungstechniken finden. Kenntnisse der Linearen Algebra und der Theorie der Höheren Programmiersprachen werden nicht verlangt.

Was ist zu tun, will man nicht in-formatische Studienlemminge über den scharfen Rand der Praxis in die Beschäftigungslosigkeit springen lassen? Man könnte zum Beispiel rechtzeitig die Studiengänge „adaptieren“ und sodann durch vernünftige Studienberatung den Bewerberstrom aufteilen: wenige „theoretische Informatiker“ hier und — viele „angewandte Informatiker“ dort. Daß dies an den klassischen Ausbildungsstätten für Informatiker erfolgt, ist betrüblicherweise nicht recht wahrscheinlich. Es hat schon Gründe, warum die Informatikstudiengänge an unseren Universitäten so theoretisch sind, wie sie sind.

Prof. Dr. Dr. Gerhard E. Ortner arbeitet an der Fernuniversität in Hagen und lehrt überdies an der Freien Universität Berun und der Wirtschaftsuniversität Wien.

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