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In einem unbekannten Land (III)

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Du spazierst zur Leipziger Universität (jetzt Karl-Marx-Universität geheißen); du siehst dich ein bißchen um, bis du eine Tür mit der Aufschrift „Deutsches Seminar“ gefunden hast; du klopfst, trittst ein und gibst dich als Germanist aus der Schweiz zu erkennen — und einige Minuten später bist du in eine eifrige Diskussion mit zwei Assistenten verwickelt, eine Stunde später hörst du „als Gast“ eine Vorlesung über deutsch Literatur im 16./17. Jahrhundert. So einfach ist das …

Ja, so einfach ist es tatsächlich. Ich bin auf angenehme Weise erstaunt darüber; aber verwunderlicher ist doch, mit we’ch selbstbewußtem Ernst die beiden Assistenten über die hohen Anforderungen reden, die in der DDR an Universitätsstudenten gestellt würden. Für den angehenden Deutschlehrer etwa dauert das Studium vier oder fünf Jahre, je nach der Schule, an der er unterrichten will. Der Stundenplan setzt sich zusammen aus obligatorischen, „wahlweise obligatorischen“ und fakultativen Vorlesungen und Übungen; ungebundene akademische Freiheit gibt es hier nicht, ebensowenig eins ihrer Produkte: den „ewigen Studenten“. Nach vier bzw. fünf Jahren ist der junge Germanist keineswegs schon Doktor geworden; dazu bedarf es eines weiteren Studiums von mindestens drei Jahren und einer Dissertation, die als ausgewachsene wissenschaftliche Arbeit in der Regel 400 bis 600 Druckseiten umfaßt. Nur wenige sind auserwählt, diese zusätzliche Mühsal auf sich zu nehmen. Ich sage: „Bei Ihnen scheinen die Doktorhüte höher zu hängen als in der Bundesrepublik oder in der Schweiz.“ — „Ja, allerdings“, antworten die Assistenten (die ihrerseits den Doktor durchaus gemacht haben); und sie scheinen auf die höheren Ansprüche stolz zu sein. Obzwar Philologen, kennen sich übrigens beide bei Frisch und Dürrenmatt recht gut aus.

Nachher höre ich zwei Vorlesungen; die eine (über den deutschen Humanismus) zeigt, wie subtil und auf ihre Weise ergiebig die marxistische Literaturbetrachtung sein kann, die andere (über deutsche Literatur zwischen den Weltkriegen), wie plump und unsachgemäß die gleiche Methode wirkt, wenn der Dozent sich ihrer allzu vordergründig bedient.

Ebenso leicht wie in die Universität finde ich Einlaß in eine andere Hochschule: in die „DHfK“, von der mir just eine alte Dame gesagt hat, daß man sie unbedingt besichtigen müsse. DHfK heißt Deutsche Hochschule für Körperkultur; diese staatliche Hochschule und das benachbarte städtische Sportforum

(mit Schwimmbassins, Sportanlagen aller Art und dem riesigen Stadion) bilden zusammen eine Anlage, die wohl den Neid mancher Leute erregen würde, die sich bei uns um Körperertüchtigung und Freizeitgestaltung kümmern. Auf Anfrage beim Eingang der DHfK wird mir ohne weiteres ein Mann gestellt (SED-Abzeichen im Knopfloch), der mich durch die Hörsäle, durch die Anatomieabteilung und durch die vielen Übungsräume führt; der Rundgang dauert eine Stunde. 2000 Studenten werden hier zu Sportlehrern, Trainern usw. ausgebildet — „dem Volke zu Nutzen, der Republik zu Ehren“. Im Hauptgebäude sind die Direktion, die Verwaltung und die Parteileitung untergebracht.

Die Parteileitung? frage ich. Jaja, sagt mein Begleiter, die gehört doch dazu.

Soso, sage ich, aha.

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