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Digital In Arbeit

Kann man Zeitungen trauen?

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In Schweden hat „Zeitung in der Schule" Tradition. Seit rund 30 Jahren lernen dort Kinder und Pädagogen, die Medien zu nutzen.

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In Schweden hat „Zeitung in der Schule" Tradition. Seit rund 30 Jahren lernen dort Kinder und Pädagogen, die Medien zu nutzen.

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Neugier und Interesse, aber auch Wut und Argwohn sind wichtige Bestandteile für die Arbeit mit Tageszeitungen im Unterricht. Die Tageszeitung ist ein Lehrmittel durch und durch. Sie weckt Gefühle und stellt Fragen nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - daher ist sie wichtig in der Schule.

„Man kann den Zeitungen nicht trauen. Sie behandeln Neuigkeiten tendenziös, und ihre Sprache ist nicht korrekt", behauptet ein Teil der Lehrer, die dem Medienunterricht skeptisch gegenüberstehen.

Es ist zutreffend, daß die Zeitung nicht die ganze Wahrheit liefert. Das bietet gleichzeitig aber den Schülern die Möglichkeit zu verstehen, daß sich der Blick auf Wissen und Wahrheit verändert und daher auch in Frage gestellt und kritisch geprüft werden muß. Gewiß geben Journalisten mit ihrem Material Tendenzen wieder. Das aber bedeutet, daß die Schüler Texte und Bilder erhalten, auf die sie reagieren können. Und ich sehe lieber Schüler, die ein Artikel empört, den sie diskutieren, auf den sie reagieren, als Schüler, die gleichgültig Fakten in sich hineinstopfen, die als unwichtig erachtet werden.

Es ist wichtig, daß wir den Einsatz von Zeitungen in der Schularbeit nicht überpädagogisieren, sondern unsere gewöhnliche Art des Zeitunglesens nachahmen. Der Lehrer sollte die Schüler soweit wie möglich selbst wählen lassen, was sie lesen und diskutieren wollen, und sich nur im Hintergrund für aufkommende Fragen bereithalten. Eine Unterstützung, die nicht Antworten liefert, sondern genügend kann, um die Schüler in ihrer weiteren Suche zu führen. Am wenigsten überzeugt mich bei der Bearbeitung von Zeitungen im Unterricht, wenn der Lehrer durch den Unterricht über deren Aufbau, Herstellung, Terminologie und so weiter erst eine Basis schaffen will. Nein, Schüler müssen direkt mit der Zeitung konfrontiert werden. Das reizt die Neugier, und daraus entstehen die wichtigen Fragen.

Es handelt sich um die gleiche Unterrichtsform wie die, mit der wir unseren Kindern das Radfahren beibringen. Rauf mit dem Kind aufs Rad, dann nebenher rennen und mit einer Hand stützen. Bald können wir kurz loslassen, und plötzlich radelt das Kind weiter, unsicher erst, aber dann glücklich jubelnd und angefeuert von seinen stolzen Eltern. Zum Fahrradfahren braucht man nicht alle Fahrradteile benennen zu können, ebensowenig ist die Beherrschung des Produktionsverfahrens notwendig. Aber irgendwann muß die Kette wieder angelegt, ein Loch im Schlauch geklebt oder ein Ersatzteil gekauft werden - und da kommen die Detailfragen, die vertieft werden müssen.

Seit reichlich 30 Jahren gibt es in Schweden den Verband ZiS (Zeitung in der Schule). Die Tätigkeit wurde ständig neuen Zielen angepaßt, die Lehrerfortbildung jedoch hatte immer Vorrang, da guter Unterricht mit Tageszeitungen eine pädagogische Grundhaltung erfordert, die sich teilweise von der lehrbuchgeführten Tradition unterscheidet. Wir wollen den Fokus vom unterrichtenden Lehrer weg auf den lernenden Schüler verschieben. Unsere Kurse bauen auf drei Grundpfeilern auf: Kenntnis des Zeitungswesens, Wissensauffassung und Methodik. Der gediegene Inhalt hat dazu geführt, daß ZiS im Schulwesen hohes Ansehen genießt und in vielen Gemeinden in der Lehrerausbildung obligatorisch ist.

Ein Bereich, dem ZiS in Schweden besondere Priorität einräumt, ist die Lehrerausbildung. Wir haben seit langem gute Kontakte zu den Hochschulen, in Zukunft wollen wir diese Zusammenarbeit weiter vertiefen. Untersuchungen haben gezeigt, daß der Medienunterricht im Rahmen der Lehrerausbildung häufig sehr unterschiedliches und meist niedriges Niveau hat. ZiS-Angebote, die darauf abzielen, diesen Unterricht zu verbessern, werden daher gerne angenommen.

Damit Kurse, Seminare und andere Veranstaltungen noch bessere Resultate liefern, ist für uns die Nacharbeit besonders wichtig. Wir arrangieren unter anderem Vertiefungskurse zu bestimmten Themen, Diskussionsabende bei Zeitungen, und wir geben viermal jährlich die eigene Zeitung „Notisen" für alle interessierten Lehrer und Journalisten heraus. Die Zeitung, die Artikel und Reportagen über Schule, Ausbildung und Medien enthält, bringt auch ständige Seiten über Ethik und Sprache und berichtet häufig über Projekte, die Lehrer in ihren Schulen durchführen.

Gegenwärtig hat die Debatte besonders elektronische Medien im Blickpunkt. Wir initiieren und verfolgen das Projekt „elektronische Zeitungen" daher sowohl innerhalb als auch außerhalb Schwedens. Eine weitere wichtige Aufgabe ist es, ständig eine Verbindung zu den einzelnen Zeitungen zu halten. Diese dürfen ihre Verantwortung für die jungen Leser nicht auf ZiS abwälzen, sondern müssen sich zusammen mit uns ständig um diese Zielgruppe bemühen, wenn sie der Meinung sind, daß das für den zukünftigen Fortbestand der Zeitung wichtig ist.

Der Autor ist

Projektleiter von ZiS in Schweden.

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