Auf brüchigen Brücken wandeln

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Die Wiener Albertina zeigt die Dresdner Kunstrevolution zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Irgendwann, wohl spät im Jahr 1904, bemerkten vier Studenten der Architektur an der Technischen Universität Dresden, dass sie sich im falschen Fach bewegten. Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel beschlossen daraufhin, sich ihrer Begeisterung für Malerei und Grafik mit jeder Faser ihrer Existenz hinzugeben. Mit jugendlicher Selbstverständlichkeit ging es dabei nicht darum, ein bisschen herumzupinseln oder die Konturen der einen oder anderen schönen Frau in einen Holzdruckstock zu schneiden, vielmehr wollten die vier der Kunst schlichtweg eine völlig neue Ausrichtung verpassen. Am 7. Juni 1905 war es dann soweit, man hatte sich zu einer Gruppe formiert, die unter dem Namen Die Brücke an die Öffentlichkeit treten konnte.

Ein programmatischer Name, sei er nun als Verweis auf Friedrich Nietzsches Zarathustra verstanden, wo es heißt: "Ihr seid nur Brücke: mögen Höhere auf euch hinüberschreiten!", oder sei es der eher pragmatische Hinweis von Schmidt-Rottluff, dass man damit ein vielschichtiges Wort verwendete, dass nicht sogleich ein enges Programm vorgeben, aber doch die angepeilte Überquerung bisheriger Barrieren anpeilen würde. Ernst Ludwig Kirchner, wohl der Streitbarste der Gruppe, verfasste dennoch ein Programm, wie man auf einem seiner Holzschnitte aus dem Jahr 1906 lesen kann:

Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Genießenden rufen wir alle Jugend zusammen, und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesehenen Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt."

Eine Einladung zum kreativen Urschrei, egalitär auf alle Willigen ausgedehnt und dennoch elitär auf jene beschränkt, die sich ohne die massiven Geländer der europäischen Tradition über die Brücke auf die andere Seite des Flusses aufmachen wollen.

Bald war klar, dass über die Brücke ein steiniger Weg führt. Die ersten Versuche, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, endeten in Frustrationen. Das konservative Dresdner Publikum zeigte sich von der unorthodoxen Malweise schockiert, die vier mussten Beschimpfungen wie "Hottentotten im Frack" über sich ergehen lassen. Auch eine Verlagerung der Aktivitäten in die pulsierende Metropole Berlin zeigte ähnlich katastrophale Ergebnisse. "Man bespie unsere Bilder, auf die Rahmen wurden Schimpfworte gekritzelt und ein Gemälde von mir von einem Missetäter mit einem Nagel oder Bleistift durchbohrt", notierte Max Pechstein, der seit 1906 der Gruppe angehörte, als Erinnerung an eine Ausstellung im Mai 1910.

Dennoch zeigten sich auch positive Resonanzen. Max Müller trat gerade in dieser schwierigen Zeit der Gruppe bei, die Zusammenarbeit mit Verlegern, die sich vor allem um das grafische Werk kümmerten, setzte ein und einzelne Kunstkritiker sahen das Zukunftspotenzial der Brücke-Künstler. Diese sogen die jüngere Tradition mit Vincent van Gogh und Paul Gauguin und die ältere Tradition vor allem im Übervater Albrecht Dürer auf ihre sehr spezifische Weise auf, stellten gemeinsam mit den französischen "Wilden", den Fauves, aus und rezipierten im Völkerkundemuseum afrikanische Holzplastiken und Masken.

In ihren vielleicht romantischen Versuchen, den Menschen authentisch darzustellen, dienten die Badenden an den Moritzburger Seen als beliebtes Motiv, dass daneben aber auch Stadtszenen, der Zirkus, Aktdarstellungen oder Landschaften in der "typischen" malerischen Umsetzung aus vergleichsweise intensiven und kontrastreichen Farben, den meist gespreizt wirkenden Formen und der ungewöhnlichen Raumauffassung ebenfalls zu beliebten Motiven zählten, spricht für die Realistik der Brücke-Maler. Trotz all ihrer Expressivität. Als die Gruppe im Mai 1913 auseinander brach, hatte sich ein spannendes Stück Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert ereignet.

Expressiv!

Die Künstler der Brücke

Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien

Bis 26. 8. tägl. 10-18, Mi 10-21 Uhr

Katalog (Hirmer Verlag), 416 S., € 29,-

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