Beamter aus Leidenschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Mein (Ver-) Führer... !" begrüße ich jeden Morgen den Gemüsehändler in unserem Haus. Der einzige Nachteil dieses braven Mannes ist sein Name: er heißt wirklich Führer. Sein Vorteil - leider weniger für mich - ist seine Ware, die immer vielschichtiger und appetitlicher meine guten Vorsätze, die Nahrungsaufnahme nur nach den strengen Regeln der "Trennkost" zu mir zu nehmen, unterläuft.

Dieser gute Herr über Paprika und Paradeiser, Gurken und Grünzeug führt auch unzählige nicht minder verlockende Würste und Mehlspeisen. Ich quäle mich also an seinen Verlockungen und Verführungen vorbei und schaue auf die andere Straßenseite, wo ein Reformgeschäft meine Magensäfte beruhigt.

Über Herrn Führer und sein Gemüsegeschäft wollte ich gar nicht schreiben, sondern es nur so nebenbei erwähnen. Worüber dann?

Vielleicht über meinen Freund Mike, der stets dagegen protestiert, in irgendwelchen Druckwerken "nur so" erwähnt zu werden. "Wenn Du mich nicht mit etwas Gescheiten zitierst, dann lasse es lieber ... !"

Nun, ich will meinen Freund nicht enttäuschen: Was hältst Du, lieber Mike, von einer neuen Definition des Österreichers? Er ist ein Mensch, der für die Zukunft das Schlimmste erhofft und für die Vergangenheit das Beste befürchtet.

Ich bin mit dieser Definition, die ich Dir schenke, zufrieden, da sie die typische alpenrepublikanische Mentalität - hoffnungsfroher Pessimismus und betrübter Optimismus - ganz passabel und im Dostojewskischen Sinne widerspiegelt.

Ich hoffe, daß Mike mit mir genauso zufrieden ist wie mein längst verstorbener Großvater, der als Wiener in Budapest lebte und einst meinem Vater riet: "Mach aus Deinem Sohn einen österreichischen Beamten mit Blick auf die Schweiz ... !" Warum mein Großvater das damals sagte, weiß ich nicht; immerhin: es war 1937.

Dem Rat meines Großvaters folgend bin ich tatsächlich ein österreichischer Beamter geworden, der sehr gerne Vergleiche zwischen beiden Alpenrepubliken zieht.

Die Gemeinsamkeiten beider Länder sind nahezu unaufzählbar viel; sie würden Bücher, Bände und Bibliotheken füllen. Beginnen wir nur mit ... , also , womit sollten wir eigentlich anfangen? Es könnten z. B. die österreichischen Berge sein, die allerdings nicht so hoch wie der Mont Blanc, die Seen, die nicht so groß wie der Zürchersee sind und die Bedeutung der Banken, die alle miteinander immerhin das Volumen der größten Filiale einer mittelgroßen Churer Sparkasse ausmachen, ... und, und, und.

Es gibt natürlich auch einige Kleinigkeiten, die uns Österreicher von den Schweizern trennen, die zwar nicht so wichtig sind, wie der Radiusunterschied der Emmentalerlöcher, doch auch nicht ganz verschwiegen werden dürfen: * wir sind Mitglieder der großen EU-Familie, die sich genauso benimmt, wie unsere eigene kleine Familie * wir haben eine lange Ostgrenze, verstehen uns gegenüber den "neuen Demokratien" die genaugenommen nie welche waren als (hochgezogene) "Brücke" und als (unbewegliche) Drehscheibe * wir sind, wie die Schweiz, neutral. Nur nicht so sehr; ein bißchen weniger. Nicht viel weniger, nur so, daß wir bequem in der NATO Platz nehmen können * wir sind, wie gesagt, eine Spur weniger neutral als unsere eidgenössischen Nachbarn, dafür haben wir bedeutend mehr Beamte als die Berner Bundeshaus liebenden Kantone.

Apropos: Kantone. Die österreichischen Bundesländer, ein schwaches Abbild des schweizerischen Föderalismus, blicken neidvoll nach Westen und nicht nur die Burgenländer nach Niederösterreich.

Obwohl das Jahr auch in Österreich nur aus 12 Monaten besteht, erhalten alle Arbeitnehmer 14, manche sogar 16 Gehälter. Als Ausgleich dazu, wenn man schon relativ gut verdient, dann soll man zumindest (fast) unkündbar sein wird die "Pragmatisierung" auf unendlich viele Nicht-Beamte in Kammern, Banken und Sozialversicherungsträgern ausgedehnt.

Auf dem Weg nach Brüssel wollten wir, Österreicher, ursprünglich einen kleinen Stopp in Zürich einlegen, um Neutralität zu tanken und Nazi-Gold-Dampf abzulassen.

Allerdings: Wer im NS-Goldhaus sitzt, der kann ruhig mit geraubten Edelsteinen herumwerfen: obwohl der werfe den ersten (Edel-) Stein, der... ohne Fehl und Tadel die Zeit bis 1945 überbrückte. Außer: Man war "Hitlers erstes Opfer" und erfand die Bedeutung der "Brücke" für sich selbst .

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung