Das Flair einer langen Kirchennacht

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Die größte gemeinsame kirchliche Veranstaltung aller 14 christlichen Gemeinschaften lockte am 28. Mai für eine Nacht lang Gläubige, Interessierte und Gäste in offene Gotteshäuser. Junge Reporterinnen und Reportern schildern – auch nicht alltägliche – Impressionen aus der „Langen Nacht der Kirchen“ in Wien. Das Datum der nächsten steht fest: 11. Mai 2011

Allein durch den Wiener Stephansdom drängten sich in 40.000 Besucherinnen und Besucher. Der Bogen der Angebote in allen Diözesen Österreichs reichte von Stadt- bis zu Landpfarren, vom Gebet bis zu unüblichen Veranstaltungen. Einige Studentinnen und Studenten der Katholischen Medienakademie waren in Wien als Reporter unterwegs: Unter einer Burka im Stephansdom, zu einer Tiersegnung in der Pfarre „Cyrill und Method“ in Wien-Floridsdorf, bei Queen-Musik auf der Orgel. Sie hefteten sich einem aus der katholischen Kirche Ausgetretenen an die Fersen, besuchten die Kochshow eines Sozialprojektes für Haftentlassene.

Auschnitte aus ihren Reportagen vermitteln nicht die Debatten sondern ein wenig vom Flair der Langen Nacht der Kirchen.

Bikini und Burka im Dom

Sabine Wodni war, begleitet von Georg Gatnar, im Fast-Bikini und mit Burka im Stephandsdom. Ihre Impressionen:

„Im dichten Gedränge zwängen wir uns durch das Riesentor. Wir ignorieren dezent das rote Schild, das auf unangemessene Bekleidung innerhalb des Doms hinweist. Ein Aufseher bemerkt die Fast-Bikini-Aufmachung, lässt uns aber ungehindert passieren. Einheimische, treue Kirchengeher, Touristen und Hobbyfotografen treffen in dem eher musealen als kirchlichen Ambiente aufeinander. „Strange clothes, these Austrians in churches have“, flüstert eine augenrollende Britin ihrem Mann zu. Es ist uns unmöglich, die Missbilligung zu ignorieren, sie spiegelt sich von allen Seiten wider. Die Empörung darüber, dass ein Erscheinen dieser Art in einem Gotteshaus unangemessen ist, scheint größer als das Interesse am Dom selbst. Niemand spricht uns an, aber Gesichter, die sich uns zuwenden, zeigen uns: Wir sind unerwünscht. Unter einer Burka hingegen ist der Weg zum Stephansplatz holprig. Seitliche Blicke aus dem Augenwinkel bleiben verwehrt. Beim Dom angekommen, werden wir angestarrt. Von Missbilligung und Kopfschütteln kann diesmal keine Rede sein. Die Beobachter geben sich distanziert, überrascht und angewidert. Langsam nähern wir uns dem Eingang, ein Fuß muss vorsichtig vor den anderen gesetzt werden, um unbeholfenes Stolpern zu vermeiden. Ein Konzertticketverkäufer im Mozartkostüm überlegt, kurzerhand als Türsteher zu fungieren: „Sollten wir sie nicht aufhalten?“ Sein Kollege zuckt mit den Schultern: „Das geht uns nichts an.“ Der Zutritt erfolgt ungehindert, aber keineswegs unbemerkt. Die Intoleranz vieler Besucher ist unüberhörbar: „Des derf ja net woahr sein!“ „Was will denn die hier?“ „Das ist ja das Allerletzte.“ Doch es gab auch eine andere Dame, die zu ihrem Begleiter sagte: „Schön, dass sich auch andere Religionen für uns interessieren.“ Doch der positive Eindruck schwindet rasch: „Die hat sich wohl in der Kirche geirrt“, lautet die Gegenstimme. So war es: Die Ablehnung war an Deutlichkeit nicht zu überbieten.

Rhapsody in Queen

Eva Lugbauer gab sich ein Konzert: „Die Band Queen auf der Orgel zu interpretieren klingt verrückt, ist verrückt – aber gut. Die Orgelperformance in der Wiener Servitenkirche hätte mehr davon vertragen. Organist Robert Vetter wollte alle, die zumindest ein Kinderlied am Klavier spielen können, einladen, sich zu ihm an die Orgel zu setzen. Es solle eine Rhapsodie herauskommen, diese Art Musik werde immer ungeplant komponiert. Einer traut sich zu Vetter auf die Orgelbank, gemeinsam bemühen sie ihre Finger an den Tasten. Nach der „Alle Vöglein sind schon da“- und der „Fuchs du hast die Gans gestohlen“-Rhapsodie ist das Repertoire erschöpft. Die Orgel pfeift trotzdem weiter. Vetter geht zu Mozarts „Kleine Nachtmusik“ und Bachs „Jesus bleibet meine Freude“ über – Stücke, die nichts von einer Rhapsodie an sich haben. Nach 30 Minuten kommt der Organist zum Höhepunkt der Performance: „Bohemian Rhapsody“, ursprünglich von der Popgruppe Queen gespielt. Pomp, Pracht und Bombastik. Das passt zu einer Orgel. Doch kaum beginnen Besucher in den Popklängen zu schwelgen, hört die Orgel auch schon wieder auf, zu pfeifen. Aus. Zu früh.“

Prise messerscharfer Schmähs

Wie eine Kirche zu einer Küche wurde, erlebte Bernadette Bayrhammer: „Man nehme ein wenig Jamie Oliver, eine Handvoll Haftentlassener und füge eine Prise messerscharfen Schmähs hinzu, platziere dies mitsamt einer mobilen Küche auf den Altarstufen der evangelischen Gustav-Adolf-Kirche in Wien-Gumpendorf – et voilà, fertig ist „Die Häfn-Cooker“: die multimediale Kochshow für alle, die Hunger haben und alle, die satt machen wollen.

„Norbert, hier stinkt‘s!“, ruft Pfarrer Michael Bicklhaupt in Richtung Bühne. Norbert Karvanek röstet dort gehackte Zwiebeln, kiloweise. Einst selbst wegen eines schweren Gewaltverbrechens im Gefängnis, leitet der 44-Jährige mit dem Pferdeschwanz seit vier Jahren „s’Häferl“. Während sich in der Kirche Zwiebelduft ausbreitet, rattert er Fakten herunter: Vor mehr als 20 Jahren von einer Gefangenenseelsorgerin als Selbsthilfegruppe für Haftentlassene und Freigänger gegründet, gibt das „Häferl“ dreimal pro Woche kostenlos Essen aus. Gekocht wird von Exhäftlingen und „Normalen“ gemeinsam, essen kann jeder.

Im Topf, der mitten im Altarraum steht, brodelt es, in der Kirche duftet es nach Eintopf. Karvanek und ein Mann mit der schwarz-weiß gestreiften Kochmütze der „Häfn-Cooker“, schneiden fertig gekochtes Fleisch. „Wir kochen vor“, merkt „Le Chef“ an: „50 Liter Seelenwärmer kochen sich nicht in 30 Minuten.“ Und zwecks Barriereabbau soll noch gemeinsam gegessen werden. Der Inhalt des Riesentopfes kommt am nächsten Tag auf den Tisch – im „Häferl“ der Stadtdiakonie Wien, beliefert von der Wiener Tafel, gefördert vom Justizministerium.“

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