Der österreichische Sisyphos

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Europas größte Kulturbaustelle, das in stiller Agonie dahindümpelnde Wiener Museumsquartier, ist ein Spiegelbild heimischer Befindlichkeit.

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Europas größte Kulturbaustelle, das in stiller Agonie dahindümpelnde Wiener Museumsquartier, ist ein Spiegelbild heimischer Befindlichkeit.

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Bald ist es soweit: am ersten Oktober feiern das Leopold Museum, die Kunsthalle Wien, die Hallen der Wiener Festwochen und das Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien ihre Dachgleiche. Wirklich Notiz nimmt davon kaum jemand. Ein riesiger Kulturkomplex, von öffentlicher Hand beauftragt, einen Katzensprung von der Hofburg entfernt, interessiert knapp vor der magischen Jahrtausendwende nicht einmal mehr Kulturjournalisten.

"Das Wiener Museumsquartier und andere spannende Geschichten" heißt die aktuelle Ausstellung im ArchitekturZentrumWien. Sie beleuchtet die mittlerweile zehnjährige Geschichte des euphorisch begonnenen nationalen Aushängeschilds einer Kulturnation. Der Ansturm der schreibenden Zunft zur Pressekonferenz war gering. "27 Meter Museumsquartiergeschichte haben wir aneinandergereiht", ist Dietmar Steiner, Leiter des ArchitekturZentrumWien von der Fülle des Materials beeindruckt. Eine Auswahl des bisher Geschriebenen läßt sich nun lustvoll oder schaudernd an den Wänden in einem ruhigen Winkel inmitten der Großbaustelle betrachten.

Der Anteil der Medien am wechselvollen Verlauf bis hin zur äußerlichen Mutation der einstmals von einem wirkungsvollen Leseturm gekrönten Planung ist dabei mehr als wesentlich. Es scheint fast, als hätten emotionsgeladene Schreiber erfolgreich ihr Zerstörungwerk vollendet, und nun das Interesse am wiederbelebten Patienten verloren. Fast 30 Laufmeter sind genug geschrieben. Genesungsversuche zu dokumentieren, ist weit weniger spannend, als einem erklärten architektonischen Feindbild den Garaus zu machen. Die in diesem Wahlkampf überdeutliche Tendenz zur Vereinfachung zeichnet sich prophetisch am Museumsquartier ab: Krallt man sich vor dem Urnengang an Kinderscheck und Ausländerschreck fest, eignete sich vor zehn Jahren ein Turm in der Stadtmitte hervorragend als Feindbild.

Seitdem sind zweieinhalb Legislaturpersioden vergangen. Tempora mutantur: der viel höhere Millenniums-tower erfreut sich medialer Beliebtheit. Hochhäuser als solche schocken nicht einmal mehr Wiener. Die Donauinsel inklusive Platte, der liebevoll mit "Obelix" getaufte blauweiße Turm von Gustav Peichl und Neubauten mit Donaublick haben mehr Akzeptanz als die Sammlung Leopold und alles, was sich kulturell in ihrem Umfeld ereignen soll. Doch selbst sie sind aus einem Kompromiß gewachsen, als österreichische Nachnutzung hochstrebender Expopläne. Würstel, Wasser und Wohnen stehen dem Volk, und denen, die ihm nach dem Mund schreiben, eben näher als die Kultur, selbst, wenn es ein Kulturvolk ist.

Unfreiwillig erfüllt das Museumsquartier seine Aufgabe, Aushängeschild der modernen Republik zu sein, viel umfassender, als es jeder Leseturm vermochte. Seine wechselvolle Planungsgeschichte dokumentiert in unnachahmlicher Weise, aktuell bis zum letzten das komplexe Zusammenspiel von Stadtplanung, Wahlkampf, Finanzen, Medienwelt und Meinungsbildung. Eine öffentliche Bauaufgabe im Herzen Wiens, nah am Puls der gern zitierten großen Geschichte, wird, bereichert um die Gestalt eines österreichischen Großsammlers, zum Spiegelbild heimischer Befindlichkeit. Die legendäre nationale Charaktereigenschaft der Kompromißfähigkeit manifestiert sich baulich im wechselnden Entwurfsprozeß. Hin und hergerissen zwischen von Wahlkampf und Medien diktierten Nutzungsvorstellungen wird Architekt Laurids Ortner, der all das aushält, zum stillen, österreichischen Helden: sisyphosgleich bemüht, unbedankt und beschimpft, kämpft er verbissen um die Vollendung seines Werkes. Dem wankelmütigen Wollen eines demokratischen Bauherrn ausgesetzt, liefert er jeweils angepaßte Entwürfe. "Mein Puls beginnt wieder zu rasen," sagt Ortner heute, wenn er die alten Zeitungsausschnitte liest: "Während der Schlacht bemerkt man die Blessuren nicht ..."

1991 forderte Arik Brauer eine Verhinderung des Museumsprojekts. "Monstermuseum wird nicht verwirklicht" freute sich ein Kleinformat Ende September 1992. "Monsterprojekt zerstört Wien" brachte August 1993 grassierende Ängste auf den Punkt. Eine Farbbildmontage mit dem Kampanile in Venedig, überragt von den "Monstern" im Hintergrund illustrierte schaurig ein Horrorszenario. Hunderte Journalisten, Künstler und Prominente fühlten sich trotz der Entscheidung einer Fachjury kompetent und verantwortlich, den Politikern via Medien gute Ratschläge zu geben. Architekt Laurids Ortner, gefeierter und beneideter Wettbewerbsgewinner, sah sich zigtausend medialen Kritkern ausgesetzt. Weil auch die Politiker zum Kaffee am Morgen die ersten Schlagzeilen konsumieren, schmolz die Standfestigkeit der Auftraggeber dahin. Erhard Busek kämpfte lang, tapfer, aber zusehends allein und vergeblich.

So ganz genau weiß man heute immer noch nicht, was auf der größten Kulturbaustelle entstehen soll. "Das war eigentlich so, wie wenn ein Privatmann ein Einfamilienhaus will, und dann kommt er drauf, daß die fünf Schlafzimmer, von denen er geträumt hat, zu viel sind. Die Frau zieht aus, die Kinder werden erwachsen, er braucht eigentlich nur ein Zimmer für sich und ein zweites für den Gast, der kommt", versucht Ortner, das Dilemma der Planung auf den Punkt zu bringen: "Es ist halt mit einer echten Traumidee begonnen worden, mit einem gigantischen Konglomerat, das von Anfang an überdimensioniert war."

Lange gab es nur eine Hülle, die die veränderlichen Inhalte stilvoll verpacken sollte. Seit Ortners Wettbewerbsgewinn zogen viele Politiker übers Land, die Museumsquartier Errichtungs- und Betriebsgesellschaft hat seit August dieses Jahres einen neuen Geschäftsführer, und von den Ansprechpartnern der ersten Stunde ist außer dem Architekten kaum einer mehr über. Demokratische Bauaufgaben sind eben anders, die Kritik, charakterlose Architektur zu schaffen, muß sich Ortner oft anhören. "Der Vorwurf der Beliebigkeit stimmt nicht. Es muß schon eine sehr intelligente Hülle sein, die auf diese Anforderungen variabel reagiert," sieht der Architekt sein Werk als große Aufgabe. Die Hülle wächst jedenfalls unermüdlich.

Über die Sommermonate sind die neuen Bauteile zu erklecklichen, unübersehbaren Massen geworden. Erstaunlich, wenn man einen Zeitungs-titel hernimmt: "Baubeginn ohne Spatenstich." Dafür ist die im Oktober erreichte Dachgleiche ein wirkliches Wunder. Wie das Ganze aussehen soll, wenn es fertig ist, kann man sich in einem Modell in der offensichtlich sanierungsbedürftigen Halle H ansehen und im Zumtobel Staff Lichtforum in der Jasomirgottstraße.

Den allerletzten Stand der Dinge zeigen aber auch diese Exponate nicht. In letzter Zeit wird wieder der Ruf nach einer großen Geste laut. Daß das neue Aushängeschild österreichischer Kultur ein Signal braucht, wie es früher der Leseturm war, davon ist auch Laurids Ortner überzeugt. Viel Zeit hat er allerdings nicht mehr. Im Jahr 2001 muß alles fertig sein.

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