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Bis Stalingrad... (II)

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Am besten hatten es eigentlich noch jene Soldaten, die verwundet oder krank heimkamen. Wenn ich diese Artikelserie schreiben kann, verdanke ich dies auch nur einer schweren Leberschädigung, die mich während der Kämpfe um Stalingrad nach fünfmaligem Umsteigen von einem Flugzeug zum nächsten in zwei Tagen nach Wien und dann auf drei Monate ins Spital brachte, wo mich der Chefarzt mit den „hoffnungsvollen“ Worten begrüßte: „Drei solche Kanarienvögel haben wir schon gehabt, aber die sind uns alle eingegangen!“

Als ich vor kurzem, zum 20. Jahrestag, in einem niederösterreichischen Bildungswerk meinen Farbbildvortrag „Bis Stalingrad ...“ hielt, zeigte mir eine ältere Frau eine damals geschriebene Feldpostkarte: „Traf Ihren Neffen Stefan mit Granatsplitterverwundungen am rechten Unterarm in einem Lazarett bei Stalingrad. Er bittet um Benachrichtigung der Mutter, die sich keine Sorgen machen soll.“ Und an seine Mutter schrieb er drei Wochen später aus Lublin: „Schreibe euch heute meinen ersten mit der linken Hand geschriebenen Brief, denn mit der rechten Hand ist es nun leider vorüber. Verlor meinen rechten Arm durch Granatsplitter vor Stalingrad. Kränkt Euch nicht deswegen! Ich ertrage es tapfer und geduldig und blicke trotzdem frisch, lebensfroh und mit Gottvertrauen in die Zukunft. In den ersten schweren Stunden brachte mir unser Divisionspfarrer Trost und Stärkung. Eine Stunde nach der Verwundung wurde ich operiert, und schon am nächsten Tag flog ich zirka 600 Kilometer nach Arti-movsk ...“

Das gleiche Gottvertrauen sprach aus vielen Briefen, die ich von Hinterbliebenen gefallener Kameraden erhielt: „Es hat mich ja furchtbar getroffen, aber wir müssen uns dem Willen des Allerhöchsten fügen, so hart es auch für mich ist — aber unser Herrgott hat ihn noch lieber gehabt als ich ...“ Eine andere Frau schrieb mir: „Ihren Brief, lieber Herr Pfarrer, mit der schmerzlichen Nachricht trage ich täglich bei mir.- Ich danke Ihnen für die bestellten Grüße, daß Sie den letzten Wunsch meines lieben Mannes an seine Familie erfüllten. Noch habe ich außer Ihrer Nachricht keinerlei Mitteilung von der Wehrmacht erhalten. Nur ein Paket ist angekommen, in dem die Zigarettendose, Füllfederstiel, das Feldbuch, Bilder und die Brieftasche mit dem Ehering waren ...“ Fast in jedem Antwortschreiben der etlichen tausend Familien, denen ich die Todesnachricht und die näheren Umstände oder letzten Wünsche übermittelte, könnte man so oder ähnlich lesen: „... Es ist mir und seiner Mutter eine große Genugtuung, daß mein Mann noch die Sterbesakramente empfangen konnte und daß er bestattet wurde...“

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