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Das Wunderland Poyais

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Von den zahlreichen Nachkommen meines Urgroßvaters mütterlicherseits bin ich der einzige, der noch ein Stück seines Erbes besitzt: den Anspruch auf ein Landgut, zwar von kleinem Ausmaß, aber in einem Reich, wie es nicht herrlicher erträumt werden kann. Nach der Besitzergreifung wären pro Joch jährlich am 24. Dezember nur ein amerikanischer Cent zu entrichten, ein Nichts für ein Guit in einem zauberhaft schönen und reichen Land, einem Paradies von Plantagen, Zedern- und Mahagoniwäldern und ewigem Sommer. Goldkömer in den Flüssen weisen den Weg zu den Bergen, wo man mit dem Spaten Gold gräbt und im Geröll Edelsteine funkeln. Inmitten von Zuckerrohr-, Kaffee- und Indigoplantagen liegt die Hauptstadt des Königreichs mit breiten, baumbeschatteten Straßen, Kathedrale, Parlament, Oper und dem Handelshafen mit großen Warenhäusern. Fährt der König aus seinem Palast, begleiten ihn sein adeliges Gefolge und die berittene Leibgarde. Nicht nur Worte in den zu tausenden verbreiteten Prospekten, auch Abbildungen kündeten von der Pracht der Residenzstadt. Die Urkunde über den Gutskauf in englischer und französischer Sprache, die mein Urgroßvater für kaum mehr als zwei Pfund erwarb, mißt 50 Zentimeter in der Länge und 40 Zentimeter in der Breite und ist von oben bis unten von einem fein gravierten Text bedeckt. In diesem Dokument verkündet His Excellency General Sir Gregor MacGregor der Welt, der König der Moskito habe

Ihm am 29. April 1820 in Cape Gra-cias ä Dios das Fürstentum Black River Polayas, kurz Poyais genannt, überlassen. Es bildet einen Teil der Nordmoskitoküste, seine Grenzen sind durch genau gemessene Längen-und Breitengrade bestimmt. Den Kopf der typographischen Glanzleistung bildet das fein gestochene, eine Krone tragende Wappen des Fürsten von Poyais, rechts und links von einem Einhorn flankiert. An einer Kette hängt das Grüne Kreuz des königlichen Ordens, und man liest den Wahlspruch IN LIBERTATE DEFENDENDA SOCIORUM. Um seine Souveränität zu dokumentieren, bestellte Gregor I., wie sich der Fürst von Poyais nannte, einen Major seines Gardereiterregiments und Kommanideur des Ordens vom grünen Kreuz (den ein Londoner Juwelier verfertigte) zu seinem Geschäftsträger in Großbritannien. In London und Edinburgh wurden Bureaus eröffnet, wo man für vier Shilling ein Joch kaufen konnte und einen Führer von der Moskitoküste erhielt. Bänkelsänger verkündeten in den Straßen die Herrlichkeiten des Fürstentums.

Leider lag das Fürstentum Poyais mit all seiner Pracht nur im Reiche

der Phantasie, aber der Glaube an seine Wirklichkeit war so mächtig, daß das hochangesehene Bankhaus Perring & Company, dessen Chef einmal Lord Mayor war, im Jahre 1823 eine Anleihe von 200 Pfund auf die Goldausbeute von Poyais emittierte, die so rasch vom Publikum gezeichnet wurde, daß bald darauf eine zweite Anleihe in der Höhe von 300.000 Pfund von Thomas Jenkins & Company begeben wurde. Gregor L; Fürst von Poyais, war ein unbestrittener König der Schwindler. Seinem Ruhm als Freiheitskämpfer und Held, nicht zuletzt seiner gewinnenden Persönlichkeit verdankte er seinen hohen Kredit. 1811 segelte der 25jährige schottische Offizier Gregor Mac Gregor nach Venezuela, um Simon Bolivar seine Dienste anzubieten. Nach kurzer Zeit wurde er als Oberst dem Stab des Generals Francisco de Miranda zugeteilt, und es dauerte nicht lange, bis er Divisionsgeneral der Armee von Vene-zuela*und Neu-Granada wurde. Er nahm an den Schlachten von Onoto, Chaguararaas, Quebrado-Honde und Alacran teil führte 1816 seine Truppen hunderte Meilen durch den Dschungel auf dem Rückzug von Ocumare und glänzte in dem entscheidenden Sieg über die Spanier bei Juncal. Mit dem Orden der Befreier geschmückt, heiratete er Boli-vars Nichte.

Nach der Abrüstung führte er auf eigene Rechnung Raubzüge gegen die letzten Nester der Spanier, überfiel Porto Bello, den Schlüssel zum Isthmus von Panama, nahm den alten Silberhafen Rio Hacha in Neu-Gra-

nada und bezwang die Festung der Insel Almelia, welche die Schiffahrt nach Florida beherrschte. Im Frühjahr 1820 landete er mit wenigen Gefährten an der versumpften und verseuchten Moskitoküste von Nikaragua, die, einst Sitz einer englischen Kolonie, bereits 1788 völlig verlassen war, nur zuweilen von Moskitoindianern durchstreift. Er fand einen Häuptling und ließ sich von diesem ein größeres Gebiet abtreten. Auf der Rückfahrt nach London ernannte er sich zum Fürsten von Poyais und vertrieb die Langeweile der langen Seefahrt mit seinen Plänen, aus der Leichtgläubigkeit seiner Mitmenschen Kapital zu schlagen.

Die erste Gruppe von Kolonisten, 50 an Zahl, schiffte sich im schottischen Hafen Leith, versehen mit Geldscheinen der Bank von Poyais (die in Edinburgh gedruckt wurden) im September 1822 nach dem gelobten Land ein. Bald folgte ein zweites Schiff mit 150 Schotten. Zwei Drittel der Leute gingen an gelbem Fieber zugrunde, der Rest wurde von der 500 Seemeilen entfernten englischen Kolonie Honduras, deren Gouverneur von der Katastrophe erfuhr, gerettet und die Überlebenden nach Belize gebracht. Fünf nach-

kommende Transporte, darunter ein französischer aus Le Havre, wurden unterwegs eingeholt und kehrten um.

1825 verlegte Gregor I. seine Tätigkeit nach Paris, wo er Gesellschaften zur Ausbeutung der Schätze von Poyais ins Leben rief, deren Aktien zum begehrten Spekulationspapier wurden. 1827 wieder in London, wurde er verhaftet, aber dank seiner guten persönlichen und geschäftlichen Beziehungen bald freigelassen. Er zog nach Paris, lernte das Gefängnis La Force kennen und

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