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Der Dresdner Kreuzchor

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Neben den Thomanern, die ihr Standquartier immer noch in Leipzig haben, ist der Dresdner Kreuzchor der berühmteste in Deutschland diesseits und jenseits der Zonengrenze. Daß dieser Chor, zwar „vielfach in die Enge getrieben und in seiner wesenhaften Existenz oftmals bedroht, trotz aller weltanschaulichen und propagandistischen Eingriffe im ganzen unangefochten seinen Weg durch die Zeit des Hitler-Regimes fortsetzen konnte“, ist — wie in einem historischen Abriß erläutert wird — auf seinen absolut unpolitischen und rein kirchlichen Charakter zurückzuführen. Damit mag es heute eine ähnliche Bewandtnis haben.

Die Geschichte dieses Chores reicht weit in vor-reformatorische Zeit, nämlich bis ins 13. Jahrhundert, als in der Capeila sanctae crucis Knaben in Gesang und Latein unterwiesen und einem Geistlichen, der zugleich Schulrektor und Kantor war, unterstellt wurden. In der Zeit der Reformation erhält der Chor eine Kurrendeordnung und erlebt während des Dreißigjährigen Krieges, als Heinrich Schütz Leiter der kurfürstlichen Kapelle in Dresden war, seine erste Blütezeit. Während

de Barecks werden die Kruzianer für die Chöre in der neugegründeten italienischen Oper herangezogen und kommen in Fühlung mit dem berühmten Venezianer Antonio Lotti und dem meisterlichen Flötenspieler Quantz. Die Brüder Graun und Johann Adam Hiller sind unter den Alumnen. Einer der bedeutendsten Kreuzkantoren ist Gottfried August Homilius, der nicht nur der größte Orgelspieler seiner Zeit, sondern auch ein guter Lehrer und Komponist war. Fast ohne Unterbrechung bis ins 19. Jahrhundert können berühmte Namen in Verbindung mit dem Kreuzchor genannt werden. Theodor Körner nimmt am Unterricht in der Kreuzschule teil, und im Hause seines Vaters, des Appellationsrates Körner, finden Hausmusiken statt, an denen sich oft Kruzianer beteiligen. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert tritt die Bach-Pflege in den Vordergrund, das Repertoire reicht von Palestrina und Schütz bis Brahms und Richard Strauß und die Besucherzahl der Chorkonzerte wächst bis auf 4000 Personen. Seit 1930 steht Rudolf Mauersberger als fünfundzwanzigster Kreuzkantor und als sechster Erzgebirgler an der Spitze des Chores. Der Luftangriff auf Dresden im Februar 1945 vernichtet nicht nur die Kreuzkirche, sondern auch das Alumnatsgebäude mit seinem modernen Gesangsaal und den unersetzlichen Notenschätzen. Seither hat der Chor sein Hauptwirkungsfeld in den Konzertsaal verlegt und erhielt 1947 — Ironie der Geschichte! — ein neues Heim im Dresdner Freimaurerinstitut. Immer häufiger werden die Gastspielreisen, die von der Schweiz bis nach Rußland reichen, und die Mitwirkung an Rundfunksendungen.

Unter Rudolf Mauersberger sang der Kreuzchor im Großen Konzerthaussaal Chormusik alter Meister von Orlando di Lasso bis G. A. Homilius, Volksliedbearbeitungen von Ernst Pepping und neue Dresdner Chormusik, die vorwiegend durch Kompositionen des Dirigenten repräsentiert war. Dem Andenken an die zerstörte Vaterstadt galt eine ergreifende Komposition nach einem Text aus den Klageliedern Jeremiae: „Wie liegt die Stadt so wüst, die voll Volks war. Alle ihre Tore stehen öde. Wie liegen die Steine des Heiligtums vorn auf allen Gassen verstreut. Er hat ein Feuer aus der Höhe in meine Gebeine gesandt und es lassen walten. Ist das die Stadt, von der man sagt, sie sei die allerschönste, der sich das ganze Land freuet? Sie hätte nicht gedacht, daß es ihr zuletzt so gehen würde.“ In mehreren Liedern wurde dieser Ton angeschlagen, und er vor allem war es — neben der Kunstfertigkeit und Diszipliniertheit dieses großen Ensembles —, der die Herzen der Zuhörer rührte. Um so beschämender empfand man den schlechten Besuch dieser einzigartigen Veranstaltung im Großen Konzerthaussaal, den ein Virtuose oder eine Unter-haltungskapelle leichter zu füllen vermögen als ein Kirchenchor, der eine mehr als 700jährige Tradition lebendig erhält.

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