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Kein Budapest?

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In den letzten Tagen konnte in den Blättern des freien Europa bei Betrachtungen über das Verhältnis Tschechoslowakei und Ostblock immer wieder der Satz gelesen werden: „Ein neues Budapest wird es nicht geben.“ Aus diesem Satz sprach die vage Hoffnung, daß es zu einem ähnlichen Eingreifen der Sowjets in die innertschechoslowakischen Verhältnisse wie in die ungarischen im Jahre 1956 nicht kommen werde. Aus diesem Satz sprach aber auch die Ahnungslosigkeit der westeuropäischen Presse über die Mentalität der Tschechen und Slowaken. Wer die Tschechen kennt, wußte von allem Anfang an, daß es kein „Budapest“ gelben werde. Tschechen steigen nicht auf Barrikaden, und wenn sie solche errichten, halben diese nur den symbolischen Wert von Kulissen und deuten an, daß eine Revolte oder ein Aufstand schon gelungen ist. Der Tscheche steht — zum Unterschied von Deutschen, Polen und Magyaren — auf dem Standpunkt, daß es wichtig ist, für sein Vaterland zu leben, aber nicht für dasselbe zu sterben. Ein Land, das nur tote Helden besitzt, löscht sich selbst aus. Es ging und geht bei den Verhandlungen zwischen der Tschechoslowakei und Moskau mit seinen Satelliten gar nicht um die Frage, ob es zu einem Budapest kommen werde, sondern eher um die Frage, ob nicht ein zweites „München“ sich abzeichnet, ähnlich jenem „München“ vor genau dreißig Jahren. Gegenüber den Magyaren des Jahres 1956 spielten die Tschechen viel klüger. Der damalige Ministerpräsident Nagy erklärte im Aufstand, daß Ungarn einen Status ähnlich der österreichischen Neutralität anstrefoe. Er sagte damit nichts anderes, als daß Ungarn aus dem russischen Bündnis aussteigen wolle. Chruschtschow wäre damals sogar zu dieser Lösung bereit gewesen, aber die russischen Militärs protestierten, da sie den Zusammenbruch des Warschauer Paktes fürchteten. Die Tschechen spielten viel glücklicher. Sie betonten immer wieder, daß sie getreue Verbündete der Russen und der Ostblockstaaten bleiben wollen und daß sie auch weiterhin Kommunisten bleiben würden. Auch diesmal dürften es die russischen Militärs gewesen sein, die die ganze Lawine ins Rollen brachten. Sie dürften befürchtet haben, daß trotz aller Loyalitätsierklärungen das Land eines Tages der kommunistischen Regierung entgleiten und damit einer der wichtigsten Pfeiler des Warschauer Paktes zusammenbrechen könnte.

Noch ist alles im Fluß. Und erst die nächsten Tage werden zeigen, ob der Widerstand dieser kleinen Nation von Erfolg gekrönt sein wird. Wahrscheinlich wird er es sein. Denn noch immer hat der imbewaffnete Widerstand des braven Soldaten Schwejk sich gegen alle Riesenarmeen durchgesetzt.

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