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„WIENER SCHULE” IN WIEN UNBEKANNT?
Die Ankündigung einer Wiener Zeitung, daß beim bevorstehenden achten Musikfest der Konzerthausgesellschaft auch Werke von Meistern der „Wiener Schule”, nämlich von Schönberg und Webern, aufgeführt werden, hat die „Oesterreichische Sängerzeitung — Organ des österreichischen Sängerbundes” (März 1957) in Harnisch gebracht. Es geht gegen die Avantgardisten im allgemeinen, und dann heißt es in dem Artikel „Eine sonderbare .Wiener Musik’1”: Heutzutage die Musik dieser beiden Komponisten als solche der „Wiener Schule” zu preisen, kommt nach unserer Auffassung einer Gotteslästerung gleich. In diesen Werken liegt nichts vom Gemüt und der Seele der Wiener, es spiegelt sich nicht das Geringste vom Liebreiz der Wiener Landschaft, es erzählt nichts von dem sprichwörtlich guten Herzen der in dieser Stadt lebenden Menschen, nichts von Würde und Menschentum und nichts von dem Schönen und Guten, dem die Wiener so sehr zugetan sind. Mit einem Wort, das ist nicht Wiener Musik! Es ist nicht jene Musik, welche sich die ganze Welt erobert hat und unser Vaterland in der Jahrhunderte Lauf erst zu dem machte, was es heute ist. Die beiden Komponisten sind wohl in Wien geboren, aber deshalb noch lange keine Wiener. Die Muse hat ihnen von der Wiener Art aber schon gar nichts in die Wiege gelegt!
Nun, der Terminus „Wiener Schule’ wurä keineswegs jetzt erst erfunden, er ist seit Jahrzehnten in wissenschaftlichen und lexiko- graphischen Werken in Gebrauch, und man versteht darunter — aber hören wir einen Fachmann für neue Musik, Karl H. Wörner (in seinem 1954 bei Schott in Mainz erschienenen Buch „Neue Musik in der Entscheidung”):
„Im Bewußtsein der musikalischen Welt bilden Schönberg, Berg und Webern eine Trias. Im Vergleich zu ihr werden alle anderen Komponisten, die im Zwölftonsystem schreiben, mit Abstand genannt. Warum? Die drei Komponisten sind tot; ihr Lebenswerk ist in der Hauptsache zu überblicken. Sie sind der Mittelpunkt einer Gruppe, die die .Wiener atonale Schule” genannt wird.”
Gewiß, diese „Schule” ist nicht die einzig denkbare Fortsetzung der klassischen und romantischen österreichischen Musik von Haydn bis Bruckner. Aber sie hat in der Musik der Gegenwart große Bedeutung, und sie wird in der ganzen Welt als „Wiener Schule” bezeichnet. Weshalb man sie in der Heimatstadt der drei genannten Komponisten nicht verleugnen sollte.
Daß es die „Oesterreichische Sängerzeitung” nicht bös meint und daß sie doch nicht gegen die „gSnzę .Rjchning;’, sębea wir auf filricįei r tage im Jahre 1957 , wo unter den Komponisten, die heuer 50 Jahre alt werden, auch der deutsche Komponist Wolfgang Fortner genannt ist, der sich, obwohl nicht mit Donauwasser getauft, zu eben dieser „Wiener Schule” in Worten und Werken bekennt…
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