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Ich liebe Sitzungen. Nichts ist für mich so wichtig, wie das stundenlange Auseinandersetzen mit Selbstverständlichkeiten, die steten Wiederholungen hochinteressanter Dauerbrenner und die durchaus notwendige und stets angebrachte Klärung aller Klarheiten. In der beruhigenden Gewißheit, daß meine Arbeit, während ich meine ansonsten leere Zeit durch pausenlose Sitzungen fülle, stets abnimmt, genieße ich die gekrümmte Haltung zwischen Besprechungsstuhl und -tisch.

Vier Jahrzehnte Berufserfahrung sind - zugegebenermaßen - nicht viel; trotzdem bemühe ich mich, zumindest die wichtigsten Typen meiner geliebten Sitzungsfanatiker zu charakterisieren: * Junge Kolleginnen, die völlig zu Recht davon überzeugt sind, daß die großen politischen Veränderungen nur auf sie warten, müssen von der Notwendigkeit stundenlanger Sitzungen erst überzeugt werden. Am günstigsten ist es, diesen jungen Kolleginnen zu versichern, daß man die Gesellschaft auch nach 17 Uhr verändern kann.

* Junggebliebene (politisch korrekter Ausdruck für "reifere") Kolleginnen schaffen - mittels hochgerutschter Knie- und auch sonst freier Röcke - den ästhetischen Rahmen dieser Sitzungen.

* Altgebliebene Kollegen (das sind Männer, die bereits in jungen Jahren starke Seniorenneigungen zeigen) nützen die Sitzungen, um ihren Koffeinspiegel halbstündig zu erhöhen. Sie sind die wirklichen Sitzungsgenießer, die davon überzeugt sind, ihre drohende Pensionierung auf diese (Un-)Art und Weise hinausschieben zu können.

* Einer der erfreulichsten Nebeneffekte der Non-stop-Sitzungen ist die Bewunderung rhetorischer Glanzleistungen unserer Vorgesetzten. Diese stets hochbegabten Chefs achten penibel genau drauf, konkrete Fragen stets aus philosophischen Höhen zu beantworten und diese leicht benebelnd zu kommentieren.

Auf der anderen, gewissermaßen auf der Schattenseite stehen - oft gehen, dafür nur sehr selten sitzen - die unverständlichen Sitzungsgegner. Ihre Argumente wie: "Statt sinnlos herumsitzen, lieber meine Arbeit zu machen ...!", oder: "Den blöden Quatsch kenne ich schon auswendig ...!" (dieses Gegenargument sollte man eher nicht offen aussprechen) sind ungerecht, undankbar und entsprechen nicht modernen, wissenschaftlichen Erkenntnissen - die zwar niemand kennt, aber dafür beeindruckend sind.

Ein eigenes Kapitel gehört der Sitzungsverpflegung. Wo sind die schönen Zeiten, als noch reichhaltige Buffets, von Cognac und Kaviar gekrönt, die Nachmittagsaufmerksamkeit der Übersatten ins Unermeßliche steigerten? Budgetäre und andere Sparmaßnahmen zwingen selbst den öffentlichen Dienst zu lauthals verkündetem Leisetreten: Statt Cognac und Kaviar gibt es nur mehr abgestandenes Mineralwasser und, gut geraten, "Beamtenforelle", und die auch - laut Verordnung des Finanzministeriums - ohne Senf und nur mehr mit Kren (zwecks: "-reiben"). Nichtsdestotrotz nehmen auch hier Zahl und Stunden - im Gegensatz zur inhaltlichen Bedeutung - der Sitzungen zu.

Ich habe in diesem Zusammenhang einen sehr guten Vorschlag. Seit Maria Theresia, die zwecks An-sichBindung ihres lustig-listigen Gemahls die "Pragmatisierung" erfand, wird das Beamtenleben nicht so sehr mit Gehaltserhöhungen, sondern mit Titeln versüßt. Nachdem wir im öffentlichen Dienst fast nur mehr Ober-, Hof- und Ministerialräte haben, wird diese Art der althergebrachten Titelsucht endgültig gestillt. So schlage ich ganz neue Titel wie "Zwei-, Drei- und Viersitzungler" vor. Anstelle der ähnlich gezählten "-stern Generäle" könnten Beamte, denen es meisterhaft gelingt, täglich mindestens zwei, drei, oder gar vier Sitzungen, wobei keine unter zwei Stunden dauern darf, wie aus dem Nichts (und eigentlich auch dafür) zu organisieren, mit diesen Titeln von einer Sitzung zur anderen herumlaufen.

Mein Freund Erich ist am anderen Ende des Telefons sichtlich ungehalten: "Jedesmal, wenn ich dich anrufe, heißt es: "âDer Herr Ministerialrat ist bei einer Sitzung ...!' und bis du mich dann zurückrufst, habe ich eine ... eh, ich meine: bin ich unterwegs ....!" Erich, ein waschechter Kaufmann der alten Schule und glühender Anhänger der Privatwirtschaft, versteht es nicht, wieso Beamte "ständig bei Besprechungen" sind. - Offen gesagt: ich verstehe es auch nicht und darum meide ich sie, wo und wie ich es nur kann.

Es gibt allerdings eine einzige Ausnahme; das sind unsere regelmäßigen Bürobesprechungen, wobei wir natürlich die laufenden Arbeiten und nicht das "Büro" besprechen. Diese Sitzungen liebe ich sogar, da sie mir - dem absoluten Senior in der Runde - die Möglichkeit geben, ein bißchen aufzulockern.

Als Senior meiner kollegialen Runde erzähle ich hie und da aus dem lustig-listigen Leben eines altgedienten Beamten und ehemaligen Ministersekretärs: Als "Moderator" (Worterteiler) der regelmäßigen Pressekonferenzen des einstigen Landwirtschaftsminsters reagierte ich einmal zu schnell auf die Meldung eines Redakteurs, der noch verzweifelt mit einem Riesensandwich im Mund kämpfte. Bevor er sich noch verschluckte, kommentierte ich die Szene: "Halten sie sich nicht zurück, das ist doch das einzige Ministerium, wo man auch mit vollem Mund reden kann ..." - Die nächsten Pressekonferenzen mußte dann mein Kollege "moderieren".

Apropos: Sitzung im Zimmer des Landwirtschaftsministers. Während einer dieser (vor allem für mich, Spätaufsteher unerträglichen) Frühsitzungen drehte sich der Minister zu mir: ""Was ist mit meinem Vortrag, dessen Unterlagen ich dir vorgestern gab ...?"" Ich, der Spätaufsteher mit dem ewig schlechten Gewissen wand mich verzweifelt: "Herr Bundesminister, Du hast mir die Unterlagen erst gestern gegeben ..." "Nein", so die bereits leicht nervöse Stimme des Ministers: "Es war vorgestern ..." Und jetzt kam meine Antwort, die - in aller Bescheidenheit - heute noch zitiert wird: "Bitte, Herr Bundesminister, wenn Du es willst, dann hast Du mir sie erst heute gegeben ..."

Heute denke ich etwas wehmütig an diese "alten Zeiten" zurück, als ich noch das Gefühl hatte, keine einzige Sitzung versäumen zu dürfen. Jetzt weiß ich, daß alles umgekehrt verläuft: Wer sich von einer Sitzung zu anderen quält, der versäumt allerhand.

Ich liebe meine (Deine, Eure, unsere) Sitzungen und ich nütze das dort Dargebotene weidlich und das nicht nur für das Stillen meines ewigen Informationshungers aus, sondern auch für vieles mehr; selbst diesen kleinen Artikel durfte ich während solch einer hochinteressanten Sitzung schreiben. - Ich danke dafür!

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