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Die Sitzitis der Sitzisten

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Sitzungen - so lehrt das Stilwörterbuch - können wichtig, entscheidend, kurz, ausgedehnt, ergebnislos, langweilig, öffentlich oder geheim sein. Sitzungen sind seit Jahren schon in Mode. Täglich werden unzählige Sitzungen anberaumt, verschoben, eröffnet, abgehalten, unterbrochen und vertagt.

Um Sitzungen durchführen zu können, bedarf es geeigneter Räumlichkeiten. Architekten mußten Sitzungszimmer einrichten, Büromöbelfabrikanten mußten Sitzungszimmermöbel herstellen. Ferner mußten zahlreiche Instanzen geschaffen werden, welche die Sitzungszimmer zu verwalten haben. Sekretärinnen mußten zu Sitzungskaffee-und Sitzungsmineralwasserserviererinnen umgeschult werden. Und als all dies geschehen war, stellte man überrascht fest, daß die Sitzungen ohne entsprechende Schulung der Sitzungsteilnehmer völlig sinnlos sind. Heute führt man deshalb Kurse für Sitzungsleitung und Entscheidungsfindung durch.

Sitzungsteilnehmer können in drei Gruppen eingeteilt werden. Die größte Gruppe ist wohl jene der Sitzungshengste. Die Sitzungshengste meinen, ohne sie könne überhaupt keine Sitzung stattfinden. Obwohl sie von der zu behandelnden Sache meist nichts' verstehen, geben sie fleißig ihre Kommentare dazu ab. Ihr Blabla fällt unter dem Bla-bla der anderen Sitzungshengste nicht auf. So nehmen sie ihre Tätigkeit äußerst wichtig. Nach eigener Ansicht der Sitzungshengste läßt sich die Wichtigkeit ihrer Tätigkeit allein nach der Anzahl der Sitzungen pro Woche messen. Deshalb organisieren die Sitzungshengste, wenn sie ausnahmsweise einmal nicht an einer Sitzung teilnehmen, selbst eine solche.

Die zweite Gruppe der Sitzungsteilnehmer ist jene der Zwangssitzer. Die Zwangssitzer nehmen nicht aus eigener Initiative an Sitzungen teil, sondern weil sie durch ihre Vorgesetzten dazu gezwungen werden. Die Zwangssitzer schweigen sich von einer Sitzung zur nächsten. Obwohl sie immer über ihre vielen Sitzungen schimpfen, sind die Zwangssitzer im Grunde genommen glücklich über diese, denn weil sie an Sitzungen teilnehmen, brauchen sie nicht zu arbeiten. Und arbeiten will der Zwangssitzer auch nicht unbedingt.

Der Zwangssitzer ist nämlich ein getarnter Arbeitsscheuer.

Die kleinste Gruppe der Sitzungsteilnehmer ist jene der Sitzungsmeider. Die Sitzungsmeider müßten - auf Grund ihrer Arbeit - des öfteren an Sitzunggn , teilnehmen. Da sie sich jedoch nicht mit dem Blabla der Sitzungshengste herumschlagen wollen, versuchen sie, allen Sitzungen aus dem Wege zu gehen. Die Sitzungsmeider haben Wichtigeres zu

Zu guter Letzt

Der neueste Witz, der in Budapest die Runde macht, ist ein ganzer kleiner Witz-Roman. Er könnte auch den Titel tragen: „Legende über den unabwendbaren Abstieg”. Also:

Zwei Ungarn sind vor vielen Jahren nach Amerika ausgewandert. Der eine wurde ein wohlhabender Mann. Der andere wird durch das Versprechen, er würde in der Partei Karriere machen, zur Heimkehr bewegt. Nach zwanzig Jahren fährt der in Amerika gebliebene Ungar in die Heimat zu Besuch. Während eines Spazierganges durch Budapest entdeckt er seinen Freund. Der Freund steht an einer Straßenecke und bettelt.

„Was ist geschehen?! Es hieß, Du tun, als die Sitzungshengste von einer Sache zu überzeugen, von der diese überhaupt nichts verstehen.

Claudius sagt: „Sitze nicht, wo die Spötter sitzen, denn sie sind die elendesten unter allen Kreaturen”. Deshalb will ich mich nicht länger über die Sitzitis und die Sitzisten lustig machen. Sonst lädt man mich nie mehr zu einer Sitzung ein, und dies täte mir wirklich sehr leid, denn auch ich bin gerne eine wichtige Person. hast es sogar bis zur Mitgliedschaft im Zentralkomitee gebracht!”

„So ist es.”

„Und?”

„Ich werde Dir alles erzählen. Als ich im Zentralkomitee war, da ist gerade eines der M itglieder gestorben. Da kam Kädär zu mir, gab mir 100.000 Forint und sagte, ich soll das Begräbnis regeln. Ich sagte:

,Für 100.000 Forint kann ich gleich das ganze Zentralkomitee begraben.'

Das haben sie aber nicht sehr gern gehört.

Ich wurde in die Provinz versetzt. Da hauste ich allein in einem kahlen Zimmer. Ich hängte mir zwei Bilder an die Wand: einen Lenin und ein Pin-up-Girl - Du weißt schon. Einmal kam Kädär auf Besuch. Er meinte, die beiden Bilder würden nicht zusammenpassen. Was sollte ich tun? Ich nahm den Lenin herunter.

Das hat ihnen aber gar nicht gefallen.

Man schickte mich in eine ganz kleine Stadt. Da war ich im Rathaus ein ganz kleiner Beamter. Plötzlich kommt jemand und fragt, warum ich bei der letzten Sitzung nicht dabei gewesen bin. Ich sagte:

,Hätte ich gewußt, daß es die letzte Sitzung ist, wäre ich ganz sicher hingekommen.'

Das hat ihnen aber gar nicht gefallen.

Ich wurde Bürodiener in einem kleinen Dorf. Mein Gehalt reichte nicht einmal für die Fahrtkosten hin und zurück. Also radelte ich täglich ins Büro. Da wird uns eines Tages gemeldet: Wir bekommen hohen Besuch! Der sowjetische Generalstab wird auf einer Inspektionsreise bei uns einkehren. Da bat ich um Erlaubnis, hinausgehen zu dürfen, um mein Fahrrad gegen Diebe abzusichern!

Das hat ihnen aber gar nicht gefallen. Jetzt bin ich Bettler.”

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