
Staatsoper: Geben Sie Vorstellungsfreiheit!
Walter Dobner über Livestreams im Kulturbereich, die einen Hauch von Normalität bringen sollen.
Walter Dobner über Livestreams im Kulturbereich, die einen Hauch von Normalität bringen sollen.
„O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen“, heißt es in Beethovens „Neunter“. Wie oft hoffte man während der vergangenen Monate auf bessere Botschaften, als sie uns die Politik überbracht hat. Nicht zuletzt in Sachen Kultur. Sie hat man, wenn schon nicht ausgeblendet, wenigstens so auf die Seite geschoben, dass sie kaum mehr sichtbar ist.
Zum Schweigen wird man Kunst und Kultur nicht bringen, trotz aller mit Corona begründeter Einschränkungen, mit denen man den Protagonisten immer wieder Pflöcke in den Weg legt. Mit noch so großzügigen Zahlungen, um schwierige Zeiten zu überbrücken, ist es nie getan. Das geht auch in der Kultur an der Sache vorbei: Veranstalter wollen veranstalten, Künstler wollen auftreten, Kunst entsteht im und verlangt nach Dialog. Noch so ausgeklügelte Medienformate, wie etwa die fast schon unübersehbar gewordenen Streamings, vermögen Live-Erlebnisse bestenfalls halbwegs zu ersetzen. Es gäbe schon ein Durchatmen, ließe die Politik wenigstens halbvolle Häuser zu. Als Symbol für die Ausführenden, dass ihre Anstrengungen nicht umsonst sind, sie ihre Botschaft mit anderen teilen können, vor allem dürfen.
Ein Hauch von Normalität
Immer wieder prescht die Wiener Staatsoper vor. Schon seit Geraumem sind wiederholt einige wenige Berichterstatter eingeladen, bei Live-Aufzeichnungen mit dabei zu sein. Ein Versuch, einen Hauch von Normalität in diese brach gelegte Kulturlandschaft zu bringen, um Künstlern wenigstens das Gefühl zu geben, dass ihre Bemühungen nicht ohne Widerhall bleiben.
Das Außergewöhnliche solcher Vorstellungen erkennt man nicht erst am Ende einer solchen Aufführung, wenn anstelle des Publikums die Ausführenden einander applaudieren. Zuvor, an Stellen, an denen sonst Zwischenapplaus aufbrandet, das Publikum Wiederholungen einfordert, Pointen von herzhaftem Lachen begleitet werden, bleibt es still.
Was hätte das für eine „Fledermaus“ zu Silvester werden können, wenn das Publikum diesen Abend wie gewohnt hätte stürmen können! Aber im fast leeren Saal vermochte selbst eine mit Georg Nigl als Eisenstein, Camilla Nylund als Rosalinde, Regula Mühlemann als Adele und Peter Simonischek als Frosch fundiert wie prominent besetzte Aufführung nur bedingt mit jener prickelnden Atmosphäre aufzuwarten, wie es in normalen Zeiten selbstverständlich der Fall gewesen wäre.
Mit frenetischem Beifall hätte ein volles Wiener Opernhaus gewiss auch Plácido Domingos berührenden Nabucco in einer ihm anlässlich seines 80. Geburtstags angesetzten Vorstellung der gleichnamigen Verdi-Oper bedankt. Aber auch diese Live-Aufzeichnung aus dem Haus am Ring war wegen Corona nur vor leeren Rängen und wenigen Rezensenten möglich. „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire“, fordert Marquis Posa bei Schiller. „Geben Sie Vorstellungsfreiheit“, lautet die Forderung an die heute Verantwortlichen. Ob, vor allem wann sie gehört wird?
Der Autor ist freier Kulturjournalist.
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