"Die Künstler waren hervorragende Dolmetscher, die den Menschen, die nicht schreiben und lesen konnten, den Inhalt der Bibel vermittelten."
Hermann Mayrhofer ist einer der erfolgreichsten Museumskustoden Öster reichs. Der heute 72-jährige Sohn von Bauern aus Leogang ist ein pensionierter Gemeindeamtsleiter. Mit seinem vor 25 Jahren gegründeten Bergbaumuseum im Ortsteil Hütten hat er im Land Salzburg ein Kunstzentrum für Gotik von internationalem Rang geschaffen. Sein Ansehen wuchs vor allem durch die Entdeckung und Rückgabe des von den Nazis geraubten Limoges-Kreuzes an die polnische Fürstenfamilie Czartoryski. Das Museum wird derzeit durch den Erwerb eines zusätzlichen Gebäudes auf insgesamt eintausend Quadratmeter Ausstellungsfläche erweitert.
DIE FURCHE: Sie feierten im vergangenen Jahr 25 Jahre Bergbauund Gotikmuseum Hütten, mit einer besonderen Jubiläumsausstellung.
Hermann Mayrhofer: Wir wollten hohe Qualität bieten und zeigten wertvolle Exponate aus der Sammlung Leopold. Frau Elisabeth Leopold führte auch persönlich durch die Ausstellung. Ein anderer Schwerpunkt waren die Leihgaben vom berühmten Dom-und Diözesanmuseum Freising bei München in Bayern. Ich konnte dort eine Auswahl von interessanten Exponaten treffen, die einen starken Bezug zu Salzburg haben. Das soll der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit werden, wenn wir künftig durch unseren Erweiterungsbau größere, gemeinsame Ausstellungen zeigen können.
DIE FURCHE: Das Wiener Leopoldmuseum ist ja vor allem durch seine Egon-Schiele-Sammlung berühmt. Sowohl Schieles als auch Leopolds Beziehung zur Gotik war ziemlich unbekannt. Wie sind Sie darauf gekommen?
Mayrhofer: Es war für uns interessant, dass Rudolf Leopold mittelalterliche Kunst gesammelt hat. Durch seine Beschäftigung mit Schiele entdeckte er dessen Leidenschaft für die Gotik. Er nannte Schiele einen "Gotiker, Träumer und Realisten zugleich". So waren es vor allem ausdrucksstarke Exponate, die Leopold für seine Sammlung erworben hat. Die hat niemand gekannt und für uns war es eine große Freude und Ehre, dass wir sie zum ersten Mal 2011 der Öffentlichkeit präsentieren konnten.
DIE FURCHE: Was macht die Faszination dieser Madonnen und Heiligen aus?
Mayrhofer: Der Ausdruck der inneren Einstellung. Die Künstler haben es in vorbildlicher Weise verstanden, Gefühle wie Freude und Schmerz darzustellen. Sie waren, wie man heute sagen würde, hervorragende Dolmetscher, die den Menschen, die nicht schreiben und lesen konnten, den Inhalt der Bibel vermittelten. Sie müssen tiefgläubig gewesen sein und sich in dieser Gedankenwelt hervorragend zurechtgefunden haben. Deshalb sind ihnen diese großartigen Kunstwerke gelungen.
DIE FURCHE: Wie ist Ihre Beziehung zur Gotik entstanden?
Mayrhofer: Ich war bis zu meiner Pensionierung im Gemeindeamt angestellt. Wir haben begonnen, ein kleines Bergbaumuseum aufzubauen, das 1992 eröffnet werden konnte. Wir hatten zu Beginn kein einziges Exponat. Wir sind beispielsweise nach Paris gefahren, wo wir Mineralien entdeckten, die Napoleon als Kriegsbeute geraubt hatte, und konnten sie wieder nach Leogang zurückbringen. Nach ein paar Jahren wurde uns klar, dass wir einen besonderen Schwerpunkt brauchten. Aus naheliegenden Gründen sind wir in der Knappenkirche St. Anna, in unserem Bergdorf Hütten, mit einem sehr seltenen Altarbild fündig geworden. Auf diesem Bild ist im unteren Bereich profane Landschaft dargestellt, darüber befinden sich verschiedene Heilige. Es waren die Namensgeber der einstigen Bergstollen. Das war für uns die geistige Grundlage, die Heiligen aus der Zeit des Leoganger Bergbaues zu sammeln. Wir haben das inzwischen unter dem Motto "Blühender Bergbau ist blühende Kunst" erweitert. Ausgerichtet sind wir auf das Erzstift und in weiterer Folge auf die Kirchenprovinz Salzburg. Damit gelingt es, auf die Bedeutung Salzburgs im Mittelalter in religiöser, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht hinzuweisen. Wir haben sehr viele gute Kontakte in Mitteleuropa knüpfen können, um diesem Thema gerecht werden zu können.
DIE FURCHE: Woher haben sie Ihr Fachwissen bekommen?
Mayrhofer: Meine Eltern waren Bauern. Mein Vater hatte ein sehr gutes Gespür für gewachsene Kultur und war der Moderne sehr aufgeschlossen. Das war für mich sehr wichtig. Im Zug des Museumsaufbaues habe ich sehr viel zugehört, geschaut und gelesen. Mit der Begeisterung und dem Herzblut kann man auch ohne dieses Fach zu studieren sehr große Kenntnisse erwerben. Ich bin sehr stolz, dass wir das Haus neben dem Museum erwerben konnten. Wir lassen es jetzt fachund denkmalgerecht renovieren. Wir bekommen 500 Quadratmeter zusätzliche Fläche und haben schon viele Pläne und Kontakte für künftige Ausstellungen.
DIE FURCHE: Braucht man beim Erkennen, ob etwas echt und wertvoll ist, ein Gespür wie beim Sammeln von Pilzen ?
Maryrhofer: Wenn man mit dem Herzen sammelt, hat man eine hohe Erfolgsquote. Wenn man etwas nur aus wirtschaftlichen und gewinnbringenden Gründen aussucht, dann geht sehr leicht etwas schief. Wir haben unsere Auswahl immer mit Freude und Herzblut getroffen.
DIE FURCHE: Wie wesentlich war die Entdeckung und Rückgabe des Limoges-Kreuzes für Ihre weitere Museumsarbeit?
Mayrhofer: Das war ein unglaubliches Glück und eine große Freude, dass uns ein begeisterter Museumsbesucher dieses Kreuz vorbeigebracht hat. Er hat gesagt, dass er zu wenig davon verstehe und hat es uns deshalb gegeben. Seine Nachbarin hatte es in einem Sperrmüllcontainer zufällig entdeckt, es drei Jahre unter ihrem Divan verpackt gelagert, und nachdem sich ihre Kinder dafür nicht interessierten, es ihm geschenkt. Wir haben es ein paar Tage ausgestellt und von einem Experten prüfen lassen. Als es klar war, dass es das von den Nazis geraubte Kreuz der polnischen Fürstenfamilie Czartoryski war, entschieden wir ohne Wenn und Aber, es den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben. Die Nazis hatten die fürstliche Sammlung nach dem Warschauer Aufstand in 18 Eisenbahnwaggons nach Zell am See gebracht und im Schloss Fischau versteckt. Die meisten Exponate wurden bereits restituiert, einige kleinere Objekte fehlen noch immer. Das Limoges-Kreuz aus dem 13. Jahrhundert ist ein Musterbeispiel, wie der wesentliche Inhalt des christlichen Glaubens auf einem Exponat sehr präzise zusammengefasst werden konnte. Unsere Rückgabe hat für internationales Aufsehen gesorgt, und wir konnten dadurch zahlreiche neue Kontakte knüpfen. Es wird auch bald eine Ausstellung "Polen zu Gast in Leogang" geben. Es folgten dann übrigens zahlreiche Rückgaben im Stillen, also ohne öffentliches Aufsehen. Wir haben jedenfalls etwas dazu beigetragen, dass den Menschen ein Unrechtsverhalten bewusst wurde.
DIE FURCHE: Ist Ihnen nicht auch ein beachtlicher Fund am Mönchsberg in Salzburg gelungen?
Mayrhofer: Das war im Schlössl von Carl von Frey. Das war ein Sammler im 19. Jahrhundert und das Schloss wurde verkauft. Das Schwierigste war einerseits die Qualität und die Echtheit der Exponate zu beweisen und das Geld mit Hilfe von Sponsoren aufzutreiben. Die Objekte sollten nämlich in Amsterdam versteigert werden. Zum Glück hatte ich auch guten Kontakt zur Familie und so gelang es uns, die Sammlung zu erwerben. In unserer Neuaufstellung wird sie einen besonderen Platz einnehmen.
DIE FURCHE: Wie privat ist Ihr Museum und welche Vorteile hat das?
Mayrhofer: Wir sind ein Verein mit 650 Mitgliedern aus ganz Mitteleuropa. Entscheidungen können bei uns schnell und unkompliziert getroffen werden. Unsere Geldgeber schätzen unsere ehrenamtliche Tätigkeit und unsere Begeisterung in hohem Maß. Wir bekommen Leihgaben in höchster Qualität und so schaffen wir auch die Restaurierung und Inkludierung des mittelalterlichen Wohn-und Wehrturmes, des Thurnhauses. Das ist auch ein wichtiger Beitrag zur Erhaltung des Ortsbildes von Hütten.
DIE FURCHE: Sie haben auch schon Ihre Nachfolge geregelt?
Mayrhofer: Es war mir sehr wichtig, eine geordnete Übergabe vorzubereiten und ich habe eine begeisterte Kunsthistorikerin und noch dazu eine gebürtige Leogangerin gefunden. Meine Assistentin Magdalena Schmuck arbeitet mit der gleichen Freude wie ich. Ich versuche, ihr meine Kontakte so schnell wie möglich zu vermitteln. Das Gefühl, dass dieses Museum auch nach mir weitergeht, ist mir besonders wichtig und in der zweiten Reihe werde ich dann noch eine Zeit lang mitarbeiten.
Museum Leogang Hütten 10 5771 Leogang Geöffnet: Do, 18.30-20.30 Uhr. Führung möglich: Tel.: 06583 7105 (Mo -Fr 8.00-12.00) Mail: info@museumleogang.at www.museumleogang.at
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