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Architektur zensur ?

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„DIE FURCHE“: Die Magistratsabteilung 19 hat die Aufgabe, eingereichte Bauansuchen auf ihre architektonische Qualität hin zu begutachten. Da die Baubewilligung von dieser Begutachtung abhängig gemacht werden kann, handelt es sich hier um die rechtliche Konstruktion einer Zensur. Ein Werk der Kunst muß hier, bevor es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, einer Behörde vorgelegt werden.

SEDA: Die Tätigkeit der MA 19 stützt sich im wesentlichen auf die 87 und 67 der Wiener Bauordnung1.

HEISS: Schon jede Festsetzung eines Bebauungsplans hat architektonische Auswirkungen.

SEDA: Der Gemeinderat selbst kann sogar über die Vorschriften des Bebauungsplans hinausgehen und für bestimmte Gebiete „Aufbaupläne“ beschließen, die auch die „Schauseitenausbildung, die Höhe, Form und Eindeckung der Dächer der Gebäude“ enthalten können2. Da kann etwa für einen Teil von Sievering ausgesprochen werden, daß alle Häuser so und so ausgestaltet werden müssen.

„DIE FURCHE“: Der Gemeinderat ist eine politische Körperschaft und hat insoweit eine Kontrolle. Mir geht es darum, daß ein Architekt, der einen Entwurf verfaßt, nicht nur zu überlegen hat, ob er die Bedürfnisse seines Bauherrn erfüllt, sondern sich ebenso dringend mit der Frage beschäftigen muß: Wird das der Behörde recht sein? Sein Entwurf wird von einer Behörde nach rein architektonischen Gesichtspunkten auf Grund von Ermessensparagraphen beurteilt.

DENSCHER: Sie wundern sich also sozusagen überhaupt darüber, daß solche Bestimmungen bestehen.

„DIE FURCHE“: Ja, sie setzen eigentlich voraus, daß der Architekt, der den Plan verfaßt, darüber überhaupt kein Urteil hat.

DENSCHER: Man muß festhalten, daß es das nicht nur in der Wiener Bauordnung, sondern in allen Bauordnungen gibt...

SEDA: Diese Bestimmungen sind auch nicht etwa erst nach dem Krieg dazugekommen, sondern schon 1930 — solange besteht die Bauordnung — enthalten gewesen.

HEISS: Ich glaube, Sie sehen die Frage vielleicht zu sehr von der Seite des Privatarchitekten und zu wenig vom Standpunkt der Behörde. Die Behörde ist dazu da, für eine gewisse Ordnung zu sorgen ...

DENSCHER: Die Behörde ist ja nicht etwas über den Wolken Schwebendes, sondern sie ist der Vertreter der Allgemeinheit.

„DIE FURCHE“: Wenn also diese rechtlichen Sicherungen das erfüllt hätten, was man in sie setzt, dann hätte das Stadtbild seither immer besser werden müssen; es dürfte sozusagen seither keinen häßlichen Bau geben. Umgekehrt kann man die Möglichkeit nicht bestreiten, daß auf Grund eines falschen Urteils einer Behörde ein guter Bau — und wenn es nur ein einziger wäre — verhindert worden ist. Meiner Ansicht nach würde die Verhinderung eines einzigen guten Baues solchen Bestimmungen ihre Berechtigung absnrechen.

Hilfe gegen Gesetzeslücken?

SEDA: Es gibt gute und es gibt weniger gute Architekten. Es gibt Architekten, die alles das machen, was der Bauherr wünscht; und vielen Bauherren geht es nur darum, ihr Grundstück auszunützen, wie es nur geht.

„DIE FURCHE“: Die Ausnützung des Grundes ist ja durch andere Bestimmungen geregelt; sie betrifft nicht die künstlerische Begutachtung.

HEISS: Ja, aber diese anderen Bestimmungen setzen eigentlich eine anständige Baugesinnung voraus; und auf was die Leute alles kommen bei der Ausschlachtung des Baugrundes, das kann ein Gesetz gar nicht im einzelnen vorhersehen. Darum ist eben ein Paragraph in allen Bauordnungen notwendig, der eine zusätzliche Kontrolle vorsieht.

„DIE FURCHE“: Ich selbst habe nichts gegen die vielen häßlichen Bauten, die sind nun einmal so. Was mich interessiert, ist, ob etwas Gutes die Chance hat, durchzukommen.

1 87 (1): „Das Äußere der baulichen Anlagen muß... so beschaffen sein, daß es die einheitliche Gestaltung des örtlichen Stadtbildei nicht stört...“

87 (2): „Die Bewilligung.. kann versagt werden, wenn.. das... örtliche Stadt- oder Landschaftsbild gröblich gestört odei verunstaltet würde.“

67 (1): „Das Bauvorhaben isl dahin zu überprüfen, ob der geplante Bau... den schönheitlicher und sonstigen öffentlichen Rücksichten entspricht.“

5 (3) a.

DENSCHER: Ist Ihnen ein Fall bekannt, daß etwas Gutes nicht durchgekommen wäre?

„DIE FURCHE“: Mir sind viele Fälle bekannt, ich bin jedoch nicht befugt, hier Architekten zu vertreten. Aber ich werde Ihnen ein historisches Beispiel zeigen. Hier ist ein sehr prominentes Haus: das Loo shaus am Michaelerplatz. Zweifellos mit derselben Berechtigung, die Sie geltend machen, und auf Grund ähnlicher Paragraphen sind diesem Bau große Schwierigkeiten gemacht worden, die jeder andere Bauherr nicht dem Architekten durchgehen lassen, sondern ihn gezwungen hätte, den Anordnungen der Behörde zu folgen. Es ist hier, was heute freilich grotesk anmutet, in ein Aquarell von Loos mit Bleistift hineingezeichnet worden, wie man es besser machen soll — Ein-zeichnungen, die heute ebenso vorkommen. Zweifellos hat auch damals die Behörde im Sinne der Öffentlichkeit gehandelt; die Öffentlichkeit war der Meinung, daß die Behörde hier eine gute Stadtbildpflege ausübe. Trotzdem haben aber einzelne Leute in dieser Behörde ihre Verantwortung anders ausgelegt, der öffentlichen Meinung widersprochen — und deshalb steht heute dieses Haus dort. Gehen solche Fälle im allgemeinen nicht anders aus?

KOLOWRAT: Darf ich etwas Grundsätzliches dazu sagen: Es wird immer nur von Architekten gesprochen. Der Anteil von Architekten unter den Einreichern ist relativ gering. Die Mehrzahl von Bauvorhaben wird von Baumeistern, Bauführern, ja Stadtmaurermeistern durchgeführt. Darin liegt das Hauptproblem; mit Architekten haben wir die geringsten Sorgen. Außerdem haben wir dafür vorgesorgt, daß nie ein Herr allein sich mit einer solchen Frage beschäftigt

SEDA: Die Neunzehner versucht doch auch immer, gemeinsam mit dem Architekten zu einer Lösung zu kommen ...

KOLOWRAT: Wir nehmen ja gar keinen wesentlichen Einfluß. Diese Ansicht, daß wir hier eine Diktatur betreiben, ist ja vollkommen aus der Luft gegriffen. Der Projektant bleiht immer der Projektant. Wir wollen ihm ja nicht im Detail dreinreden; denn ob das Fenster jetzt so groß ist, ob es vielleicht in der Achse etwas anders sitzt, ist nicht unsere Aufgabe. Derlei kann aber auch sehr wesentlich sein: etwa wenn in einer geschlossenen Bauweise mit Steildächern ein Bau mit Flachdach ausgeführt werden soll.

„DIE FURCHE“: Ich verstehe vollkommen das Beispiel, das Herr Obersenatsrat Seda gebracht hat — Sieverinp. Ob auf Grund von solchen Bestimmungen gute Entwürfe zustande kommen, ist eine andere Frage; jedenfalls ist die Tendenz berechtigt. Aber ob zum Beispiel am Graben oder der Kärntner Straße ein Haus wie das andere ausschauen muß...

KOLOWRAT: Da soll gar nicht ein Haus wie das andere ausschauen. Es geht darum: das Haus soll in dieser Bauklasse, in dieser Umgebung nicht als Fremdkörper erscheinen.

„DIE FURCHE“: Es könnte aber durchaus sein, daß eine gute Sache in einer Reihe von schlechten als Fremdkörper wirkt.

SEDA: Nehmen Sie das Rieder-Haus neben dem Rathaus. Das ist zwei- oder dreimal in der MA 19 behandelt worden. Ich glaube, daß es ganz schön in die geschlossene Bauweise hineinpaßt. Ich könnte mir vorstellen, daß ein Architekt die und die Gründe vorbringt für seinen Entwurf und die MA 19 sagt: Gut, lassen wir es so.

HEISS: Ist es nicht oft so, daß gute Architekten, die in der Lage sind, ein gutes Einzelbauwerk zu schaffen, einen ausgesprochenen Mangel an städtebaulichem Takt haben? Man kann doch nicht sagen, diese Häuserzeile ist ein Dreck und hier stelle ich als der gute Architekt etwas anderes hinein. Das was besteht, ist existente Umwelt, auf die man Rücksicht nehmen muß. Wirklich guten Architekten gelingt das auch.

„DIE FURCHE“: Es kann aber vorkommen, daß der Architekt durchaus mit Bezug auf das plant, was rundherum besteht, daß aber er diesen Zusammenhang anders beurteilt als die Behörde. Knapp nach 1945 hätte niemand am Stephansplatz große Glasfassaden bewilligt, obwohl dort vor 1945 große Glasfassaden waren. Heute würde man wieder anders denken. Die Beurteilung dessen, was in eine Umgebung paßt, ändert sich ja auch.

HEISS: Sowohl die Beurteilung wie die Planung ist eine Frage der gesamten Baukultur und kann aus diesem Komplex nicht gelöst werden.

SEDA: Sie ist jeweils ein Ausdruck der Zeit, der Gesellschaft...

„DIE FURCHE“: Baukultur besteht in dem, wa's die Architekten bauen. Ich frage nur: Wird die Baukultur durch ein zusätzliches Eingreifen der Behörde verbesser bleibt sie unbehelligt oder wird si nicht vielmehr schlechter?

KOLOWRAT: Ich muß noch ein mal sagen: Wir greifen gar nicht s sehr ein; gerade mit dem Architeh ten führen wir lediglich kollegial Gespräche. Wir kommen meister auf einen Nenner.

„DIE FURCHE“: Zwangsläufi\ weil der Bauherr ja bauen will.

SEDA: Es kommen wiederho Architekten her, die direkt um Hill gegen den Bauherrn bitten — meii geht es dabei um Ausnutzung! fragen.

„DIE FURCHE“: Was geschieht i dem — hypothetischen — Fall, da ein Architekt auf einer Meinung bt harrt, die Sie nicht billigen?

Kann die Behörde die Baukultur verbessern?

KOLOWRAT: Ich kann mich nicht erinnern, daß wir einen solchen Fall hätten.

„DIE FURCHE“: Hat er die Möglichkeit eines Rekurses?

KOLOWRAT: Natürlich ...

DENSCHER: Es können Politiker eingreifen.

SEDA: Das möchte ich weniger sagen. Aber wenn die Baubewilligung versagt wird, kann die Bauoberbehörde angerufen werden — der Instanzenzug ist ebenso wie bei jedem anderen Verfahren.

„DIE FURCHE“: Kann ein Gericht mit der Sache befaßt werden?

KOLOWRAT: Ja, der Verwaltungsgerichtshof zum Schluß unter Umständen.

HEISS: Die wirklich starke und gute Lösung wird sich ohne weiteres durchsetzen.

„DIE FURCHE“: Darf ich ein Beispiel anführen: Bei Geschäftsportalen wird oft in Fällen, in denen Architekten einen alten Baubestand erhalten oder wiederherstellen wollen — etwa die Rundbögen im Erdgeschoß alter Häuser —, mit der Begründung, daß ein anderer Lokalbesitzer später um eine Pfeilerentfernung ansuchen könnte, ein gerader Sturzabschluß verlangt.

KOLOWRAT: Jedes Haus hat ursprünglich eine einheitliche Portalgestaltung gehabt. Die alten vorgebauten Holzportale waren in einem Haus vollkommen gleich. Nach und nach werden sie umgebaut; nach dem Krieg ist viel gemacht worden, was nicht einer Behörde vorgelegt wurde. Und nun sind alle möglichen Varianten an einem Haus zu sehen ...

„DIE FURCHE“: Ist das verwerflich?

KOLOWRAT: Schon, denn das Sockelgeschoß ist eine sehr wichtige architektonische Gliederung, weil das Haus optisch auf diesem Geschoß auf ruht; es ist auch im allgemeinen schwerer gestaltet...

„DIE FURCHE“: Mit diesem Argument müßte man jede Pfeilerentfernung erbieten.

KOLOWRAT: Man kann nur den Einzelfall beurteilen; es gibt keine Richtlinien. Die Portale müssen nicht gleich sein, aber das Kordongesims müßte erhalten bleiben, der Sturz müßte erhalten bleiben.

DENSCHER: Nehmen wir das Beispiel des Looshauses, das Si gebracht haben. Angenommen, ein Lokalbesitzer würde hier in die halbe Säulenhalle ein Portal hereinstellen. Finden Sie es nicht notwendig, daß man irgendwann einen Architekten von der Behörde aus einschaltet, der so etwas verhindert?

„DIE FURCHE“: Das Beispiel stimmt nicht ganz, weil dieses Haus ja aus solchen Gründen, weil es eben als Ganzes zu schützen ist, unter Denkmalschutz steht. Es gehl ja um Straßenzüge, in denen nichi einmal ein Stadtbild zu sehen ist, das zu schützen wäre, und wo es sich lediglich um eine Beurteilung der einzelnen architektonischen Qualität handelt.

SEDA: Dann wird man auch keinen Einfluß nehmen.

KOLOWRAT: Wir haben voriges Jahr 5200 Ansuchen gehabt. Es sind rund 30 Prozent der Fälle, wo wir überhaupt ins Gespräch kommen mußten. 70 Prozent gehen ohne Einwand durch.

SEDA: Sie brauchen nur auf den Schreiberweg zu schauen...

„DIE FURCHE“: Niemand von den Leuten, die diese Bauten kritisierten, würden von der Behörde verlangen, sie möge so etwas verbieten.

HEISS: Es gibt aber inner- und außerhalb des Rathauses Stimmen, die aus solchen Gründen eine stärkere Einflußnahme verlangen.

„DIE FURCHE“: Solche Bauten werden ja nicht besser, wenn der Architekt sich etwas „mäßigt“. — Aber das Stadtbild ist ja nicht nur etwas, was besteht, sondern auch etwas, was ent steht, und manches gegenwärtige Stadtbild ist durch die gröbliche Verunstaltung eines vergangenen entstanden.

HEISS: Anderswo gibt es viel stärkere Einflußnahmen, zum Beispiel in München, wo der Beamte eine Skizze über den Plan zeichnet und genaue Vorschriften macht...

„DIE FURCHE“: Das soll hier auch vorkommen.

KOLOWRAT: Sicherlich machen wir Skizzen, dazu sind wir ja auch da. Das ist doch eine Voraussetzung, daß man nicht sagt: Das machen wir nicht, sondern auch versucht, zu beweisen, daß man es anders machen kann. Erst im Gespräch ergibt sich etwas. Man kommt oft schwer von des ersten Idee los, und erst durch Diskussionen kommt man auf andere Möglichkeiten.

HEISS: Ein anderer Gesichtspunkt. Wenn ein Architekt einem Bauherrn einen — angenommen — sehr extremen Entwurf macht, und der Bauherr geht nicht mit — wenn dann der Architekt die Sache hinschmeißt, dann ist er doch irgendwie unreif, zum mindesten im Normalfall. Ebenso wie mit dem Bauherrn muß sich der Architekt aber mit der Behörde auseinandersetzen.

SEDA: Eine Gegenfrage: Sind Sie der Meinung, die Behörde sollte keinerlei Einfluß nehmen, der Architekt sollte bauen können, was er will?

„DIE FURCHE“: Eben diese hypothetische Frage wollte ich stellen. Die Befugnis des Architekten ist an Vorbedingungen gebunden, die sozusagen alle Anforderungen erfüllen, die man an diesen Beruf stellen kann. Nehmen wir an, daß befugte Architekten nur an eine baupolizeiliche und sicherheitsmäßige Überprüfung ihrer Pläne gebunden wären — glauben Sie, daß das Wiener Stadtbild einer Katastrophe entgegengehen würde?

SEDA: Ich würde nicht sagen, einer Katastrophe, aber es würde doch zu Lösungen kommen, die nicht befriedigend sind.

„DIE FURCHE“: Nicht auch manchmal zu besseren?

HEISS: Sie überbewerten den Einzelfall. Bei jeder Verwaltungstätigkeit kann etwas Wertvolles zu kurz kommen, das ist menschlich. Auf Grund solcher Fälle kann man nicht jeder Ordnung die Berechtigung absprechen.

KOLOWRAT: Ich sagte schon, wir nehmen auf die Architektur überhaupt keinen Einfluß, dazu ist der Architekt da. Wir müssen lediglich darauf achten, daß das Haus in seiner Gesamtheit in die Umgebung hineinpaßt.

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