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CARL F. W. BORGWARD EIN UNTERNEHMERSCHICKSAL

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Es gehört zur Auszeichnung und nicht selten zur Tragödie markanter Persönlichkeiten, daß ihr allerpersönlichstes Schicksal sich als Chiffre einer Zeit ausweist: als eine Marke und ein Mahnmal, das Wege und Abwege, nicht zuletzt Gefahren ansagt. Buchstäblich über Nacht, über eine Nacht — auch das ist so charakteristisch für unsere Zeit, in der plötzlich hier und dort, unerwartet etwas ,.geschieht“ — sind die Person und das Werk des Carl F. W. Borgward ins Schein

werferlicht geraten. Wenige Nächte später wurde, an einem grauen Februarmorgen, bekannt, daß das Land Bremen als Alleineigentüme' die Automobilwerke des Borgward- Konzerns, also Borgward, Hansa- Goliath und Lloyd, übernimmt: als eine Aktiengesellschaft. Damit hat mitten in der freien Welt und mitten auf einem Höhepunkt der Wirtschaftswunderkonjunktur der Bundesrepublik die Kommunalisierung einen beachtlichen Erfolg errungen. Sachkenner werden die Stirn runzeln und sagen: man dramatisiere diese Sachen doch nicht so, es wäre eben kein anderer Weg mehr möglich, um rund 20.000 Arbeitern den Arbeitsplatz zu sichern, als dieser: dem alten, eigenwilligen Kauz Borgward war eben nicht anders beizukommen

Nun, so einfach liegen die Dinge nicht; gerade die enge Verflechtung des sehr persönlichen Lebens und Arbeitens des Carl F. W. Borgward mit diesem Schicksal seines Werkes zeigt an, wie sehr wir gerade auch im Westen schon „über die Linie“ sind: der freien Persönlichkeit sind gerade in der freien Wirtschaft sehr enge Grenzen gezogen. Oben und unten können sie sich immer knapper bewegen, werden restlos abhängig von den großen Kreditinstituten und ihrer Politik. Borgward ist über Nacht gescheitert, weil er keine Kredite mehr erhielt, weil der Bremer Senat seine durchaus zeitbedingten Zahlungsschwierigkeiten der Weltöffent

lichkeit mitteilte und einen bereits bewilligten Kredit nicht auszahlte. Die Zukunft gehört, das zeigt dieser Fall sehr deutlich, in Deutschland, Amerika, Rußland, in aller hochindustrialisierten Welt den Großmanagern, die als höchstbezahlte Angestellte Mammutbetriebe leiten.

Gewiß, dieser Mann hat sich sein eigenes Schicksal gebaut. Der „Tüftler" begann als eines von dreizehn Kindern eines Hamburger Kohlenhändlers als Bastler, der mit seinem Miniaturmodell eines Kraftwagens wertvolle Porzellantassen zerfuhr. Der Bastelbub wurde zunächst von der Familie in einen Schuppen abgeschoben, wo er weiteren „Unfug“ anrichtete. Der junge Carl wird zuerst Schlosser, studiert dann in Hamburg einige Semester Maschinenbau. Nach dem ersten Weltkrieg, nach seiner Entlassung als Soldat, wird er mit 1000 Mark Teilhaber einer Bremer Reifenfabrik, die Spiralfelgen mit Sprungfedern als Ersatz für nicht vorhandene Gummireifen herstellt. Dann beginnt Borgward, Haushaltgeräte, dann Kühler und Kotflügel für die „Hansa-Lloyd“-Werke zu produzieren. Der Vierunddreißig- jährige konstruierte einen dreirädrigen „Blitzkarren“ für Bauern, Händler und Kleingewerbetreibende. Seine Mitarbeiter wollen diesen von ihm weiterentwickelten Karren „Liliput“ nennen, er besteht auf dem Namen „Goliath“. 1931 gelingt ihm der Erwerb des Auto

mobilwerks „Hansa AG.“ und damit der seit Kindheit ersehnte Beginn der Erfindung und Produktion von Personenwagen. Der weitere Aufstieg gehört der Wirtschaftsgeschichte an. Tragik und Größe des Bastelbuben Borgward: der Erfinder, Konstrukteur, Experimentator Borgward läßt sich von dem Geschäftsmann und Großindustriellen Borgward wenig beeindrucken. Unermüdlich arbeitet er an immer neuen Konstruktionen, mehr als zwanzig an der Zahl. Der Luxuswagen interessiert ihn ebenso wie der Kleinwagen, der große Bus ebensosehr wie der Kleinstlieferwagen. Aus Steuergründen teilt er sein Unternehmen in drei Werke: Borgward, Hansa-Goliath und Lloyd, was der Wirtschaftlichkeit seiner Betriebe weiteren Schaden zufügt.

Im frühen grauen Februar dieses Jahres stehen auf gemieteten Bauernwiesen 14.000 unverkaufte Fahrzeuge, 200 Millionen Schulden erschüttern die Bremer, die um „ihr“ Werk bangen, 2000 Arbeiter werden entlassen. Das vorläufige Ende ist bekannt. Der Mann selbst, der siebzigjährige Carl F. W. Borgward, tritt ab, mit seinem Ausscheiden schließt ein Kapitel der Geschichte des freien, wagemutigen Großunternehmers in der freien Welt. Die Massen und ihr Sicherheitsbedürfnis suchen und finden seine Nachfolger: den tüchtigen Großbeamten der großen Gesellschaft m. b. H.

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