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Das Gewissen gegen die Befehle des „Führers”

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Generalleutnant Groppe begann seine Offizierslaufbahn im kaiserlichen Deutschland. Nach dem Friedensvertrag von Versailles war er einer der wenigen, die in das Hunderttausendmannheer übernommen wurden. Als Hitler 1933 zur Macht kam, war er Kommandant in Ostpreußen. Als Katholik war Groppe von Anfang an konsequenter Gegner Hitlers. Bereits 1935 wurde er deshalb’ bei Blomberg angezeigt, bei der Partei war er von Anfang an als „schwarzer General” verschrien. Heß drückte es durch, daß er zum 1. Oktober 1939 pensioniert werden sollte. Der ausbrechende Krieg im Herbst 1939 verhinderte aber die Versetzung in den Ruhestand. Groppe rückte mit seinen Truppen in den Westwall und — zog sich erneut die heftigste Gegnerschaft der Partei zu. Es war auch „unerhört”, in welcher Art dieser General die Partei „provozierte”: er schützte in den evakuierten Bereichen die Kirchen vor Profanierung. Als im Oktober 1939 die „Anregung” kam, hinter der Front Bordelle einzurichten, verbot er die Durchführung dieser „Anregung”. Als ihm Ende 1939 bekannt wurde, daß die Partei eine „spontane Aktion” gegen die Juden in seinem Befehlsbereich starten wolle, ließ er sie wissen, daß er diese mit Waffengewalt verhindern werde. Als Himmler seinen Schandbefehl zur Erhaltung des deutschen Blutes herausgab, der eine glatte Aufforderung zum Ehebruch darstellte, nahm er sohärfstens gegen diesen Befehl Stellung und wagte zu sagen, daß seiner Meinung nach im Jahre 1941 nicht die Entscheidung zwischen Deutschland und England, sondern zwischen Gott und Satan fallen werde. Als Groppe in einem Hochverratsprozeß außerdem noch durch seine Aussage dem Angeklagten das Leben rettete, schlug die Partei Endgültig zu. Da er dem „Rat” Keitels, er solle seinen Abschied erbitten, nicht nachkam, wurde er 1941 aus dem aktiven Dienst entlassen, kurze Zeit darauf wurde ihm das Tragen der Generalsuniform verboten und ihm sein Titel aberkannt. Nach dem 20. Juli 1944 wurde Groppe sofort verhaftet und wegen Wehrkraftzersetzung, Führerbeleidigung und Defätismus vor dem Volksgericht angeklagt. Den sicheren Todeskandidaten retten die ehemaligen Kameraden, indem sie es zuwege brachten, daß sein Akt dem Reichskriegsgericht überlassen wurde; welches Groppe bald wieder auf freien Fuß setzte. Himmler ließ ihn sofort neuerlich durch die Gestapo verhaften. Wieder konnte Groppe gerettet werden, da es gelang, ihn als Untersuchungsgefangenen nach Küstrin zu bringen. Bald mußten Groppe und seine Mitgefangenen nicht nur vor den herannahenden Russen, sondern auch vor der SS fliehen, die auf Befehl Himmlers vom 14. April 1945 ihn noch „liquidieren” sollte. Am Bodensee nahmen die einrückenden französischen Truppen den Vielgehetzten unter ihren Schutz.

In hunderten und aber hunderten Prozessen, die nach dem zweiten Weltkrieg stattfanden und in denen die Greueltaten der NS-Zeit behandelt wurden, redeten sich die Angeklagten immer wieder auf Befehle aus, die nicht zu umgehen gewesen seien. Die kleine Schrift von Generalleutnant Groppe ist der lebende Beweis, daß dies sehr gut möglich war und daß nichts anderes dazu nötig war als Zivilcourage. Diese hat aber bereits Bismarck in hohem Grad dem deutschen Militär abgesprochen. Hätten dagegen alle Offiziere und Generale der deutschen Armee ähnlich wie Groppe gehandelt, dann wären sicher unendlich viele Greueltaten überhaupt nicht geschehen, wenn nicht bei konsequenter Gegnerschaft des gesamten Militärs Deutschland und der Welt Hitler erspart geblieben wäre. So aber kann der Verfasser den straurigen Ruhm für sich in Anspruch nehmen, ein weißer Rabe inmitten vieler Schuldiger zu sein.

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