6577179-1950_49_14.jpg
Digital In Arbeit

Das Sterten des Jesuiten

Werbung
Werbung
Werbung

Im Juli 1926 kam Pater Miguel Pro in Veracruz in Mexiko an. Er war sechsundzwanzig Jahre alt und Jesuit. Er kehrte aus einem ausländischen Seminar in seine Heimat zurück, ähnlich wie Campion nach England von Douai. Wir wissen, wie er gekleidet war, als er anderthalb Jahre später zur Erschießung in den Gefängnishof hinaustrat, und er mag wohl in der gleichen Verkleidung an Land gegangen sein: dunkler Straßenanzug, weicher Kragen und Binder, bunte Strickweste. Priester fühlen sich in Zivil meist unbehaglich, doch Pro war ein guter Schauspieler.

Er mußte es sein. Binnen zwei Monaten nach Pros Ankunft hatte Präsident Calles mit der wildesten Religionsverfolgung seit den Tagen der Elisabeth begonnen. Die Kirchen wurden geschlossen, die Messe mußte geheim in Privathäusern gelesen werden, die Spendung der Sakramente war ein schweres Vergehen. Nichtsdestoweniger reichte Pro täglich bis zu dreihundert Personen die Kommunion, im Dunkel halbfertiger Häuser wurde Beichte gehört und in Garagen Andacht gehalten. Immer wieder entkam Pro den Detektiven. Einmal fand er sie beim Eingang in ein Haus, in dem man ihn beim Messelesen zu überraschen dachte, er gab sich für einen Polizeibeamten aus, wies ein Phantasieabzeichen vor, bemerkte: „Da drinnen ist eine Katze im Sack“, betrat das Haus und verließ es wieder mit seiner Soutane überm Arm. Verfolgt von Geheimpolizisten, als er ein katholisches Haus verließ, mit nur fünfzig Meter Vorsprung, schwand er um eine Ecke völlig außer Sicht — der einzige Mann, den sie einholten, war ein Liebhaber, der sein Mädchen ausführte. Die Gefängnisse füllten 6ich, Priester wurden erschossen, doch an drei aufeinanderfolgenden Freitagen spendete Pro das Sakrament neunhundert, dreizehnhundert und fünfzehnhundert Personen.

Sie faßten ihn natürlich doch am Ende (sie hatten ihn schon früher gefaßt, wußten es nur nicht und hatten ihn freigelassen). Diesmal machten sie keinen Fehler oder den allergrößten. Eine Bombe war Im Chapultepec-Park gegen Obre-göns Auto geworfen worden — von einem andern Auto aus. Seither bekannt gewordenes Beweismaterial deutet auf Mitwisserschaft der Regierung. Alle Angreifer entkamen, außer dem Chauffeur, den ein tödlicher Schuß traf. Ein junger Indianer namens Tirado, der gerade vorüberging, floh bei der Explosion und wurde festgenommen. Er wurde gefoltert, erklärte sich aber beharrlich für unschuldig. Die Polizei ergriff die, die sie am meisten fürchtete — Pro und seine beiden Brüder, Humberto und Roberto, und Luis Segovia Vilchis, einen jungen Ingenieur und Katholikenführer. Kein Beweisverfahren wurde gegen sie eröffnet; sie wurden nicht vor Gericht gestellt. Der amerikanische Gesandte glaubte, durch Nichtintervention mehr zu erreichen und begab sich am nächsten Tag mit dem Präsidenten und dem Komiker Will Rogers auf eine Pullman-Tour; ein südamerikanischer Gesandter intervenierte und erreichte einen Aufschub, der aber zu spät kam, um noch jemand außer Roberto zu retten. Pro wurde amtlich photographiert, wie er vor der kugel-zersiebten Wand für seine Feinde betete und wie er den Gnadenschuß erhielt; die Bilder kamen in die Presse — um die Festigkeit der Regierung zu zeigen —, doch binnen weniger Wochen wurde ihr Besitz strafbar; sie hatten eine Wirkung, die Calles nicht vorausgesehen hatte. Mexiko wurde katholischer denn je, und nur die herrschende Klasse — Politiker und Pistoleros — blieb antikatholisch.

Aus „Gesetzlose Straßen“, Verlag Herder, Wien

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung