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Der Jesuitenstaat von Paraguay

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Die ersten 85 Seiten dieses schönen Bandes sind der „Einführung“ gewidmet, welche dem Leser eine höchst willkommene Information über den sogenannten Jesuitenstaat in Paraguay gibt. Die „Reduktionen“ waren Gebiete, welche aus dem gewöhnlichen Kommendensystem von Spanisch-Amerika ausgeschieden waren. Sie waren also als Reservationen der Eingeborenen anzusehen: nur war die Selbstverwaltung der Eingeborenen, die Aufgabe der indianischen Kaziken, höchst beschränkt. Die ganze Verwaltung, einschließlich der Wirtschaft und der Vergnügungen, wurde von den Jesuiten geleitet. Es war freilich ein totalitäres Regime, welches da herrschte. Es war aber ein Regime, welches vom sonstigen Kolonialismus jener Jahrhunderte sehr verschieden war. Um nur das eine hervorzuheben: Die Eingeborenen lernten lesen und schreiben in ihrer Sprache — ein Prinzip, zu dem sich die Vereinigten Staaten erst heute durchringen (oder auch nicht). Dieser uneigentlich sogenannte „Jesuitenstaat“, besser: diese Reservationen auf exemptem Kirchengut im spanischen Reich von Westindien, wurden vernichtet, als die Staaten der Aufklärung die Aufhebung des Jesuitenordens beschlossen. Die Indianer setzten sich gegen die Auflösung der Reduktionen zur Wehr, und noch lange haben sich Reste des Systems erhalten. Dies war einzig der Anhänglichkeit der Eingeborenen zu verdanken, da ja die Jesuiten selbst von der Regierung abtransportiert wurden. Im Laufe der Zeiten aber sind die kulturellen Erfolge des Reduktionssystems und seine religiösen Leistungen so ziemlich zunichte geworden. Im großen und ganzen genommen, muß eine Geschichte der Reduktionen zum Ruhme der Gesellschaft Jesu und zum Vorwurf ihrer Feinde ausklingen.

Es versteht 6ich aber, daß die unparteiische Geschichte nicht alles an den Vätern der Gesellschaft zu loben 6nden wird. Ein prominentes Ordensmitglied selbst hat es als den „Standesfehler des Jesuiten“ bezeichnet, Liebe und Treue nur auf den eigenen Orden zu konzentrieren. Diese unerfreulichen Seiten jesuitischen Wesens: Ausschließlichkeit, Machtpolitik, Lieblosigkeit gegenüber anderen kirchlichen Institutionen, endlich die allzu ingeniöse Interpretation kirchlicher Vorschriften waren zur Zeit jesuitischer Machtentfaltung nur zu oft erkennbar. Dazu kam noch etwas anderes. Der Orden hatte solche Bedeutung, solche Macht, solchen Reichtum erworben, daß er auch zahlenmäßig auf einem Höhepunkt angekommen war. Damit hatte er unvermeidlicherweise aufgehört, das zu sein, was er ursprünglich sein wollte und was er unter Feindeinwirkung immer ist: eine Elite. Davon legt das vorliegende Buch auch Zeugnis ab. Der gute Pater Paucke mit seiner Geschwätzigkeit, seinem harmlosen, aber derben und manchmal recht trivialen Humor, entspricht weit mehr dem Typ des nicht sehr distinguierten Dorfgeistlichen als dem Bild des wirklichen oder auch nur des romanhaften Jesuiten.

Um so wertvoller ist natürlich sein Bild von den letzten Jahren der Jesuitenmission und von der Auflösung dieser so eigenartigen Territorien. Allerdings hat P. Paucke bei der Niederschrift seiner Erinnerungen an eine Publikation gedacht: „Hin und her; hin süße und vergnügt, her bitter und betrübt...“ — sein Titel wird als Untertitel der vorliegenden Publikation benützt. Doch sind seine Aufzeichnungen so kunstlos, so offenbar aufrichtig und treuherzig verfaßt, daß man sie als unverdächtige Quelle erster Ordnung wird gelten lassen müssen.

P. Paucke war ein Kind der böhmischen Länder der österreichischen Monarchie: Er war gebürtiger Schlesien in Olmütz zum Priester geweiht, und nach der Rückkehr aus Südamerika ging er nach Böhmen. Dort wirkte er auch nach der Aufhebung des Ordens in der Seelsorge in Neuhaus. Im benachbarten Stift Zwettl hat man ihn zur Abfassung seines Werkes aufgefordert, und-dort ist die Arbeit auch erhalten geblieben. Zugleich aber bewahrt das Stift Bilder, die unter P. Pauckes Aufsicht entstanden sind. Sie sind für die prächtige Bebilderung des vorliegenden Bandes benützt worden, welche einen ganz wesentlichen Vorzug des Buches darstellt.

Wir wollen nicht verfehlen, die Bedeutung der herausgegebenen Quelle dadurch zu unterstreichen, daß wir auf die in der Einleitung erwähnten Vorarbeiten verweisen. Es hat nicht nur Bearbeitungen in der Sprache des Originals gegeben, sondern die Universität zu Tucuman hat eine spanische Ausgabe veranstaltet. Wir sehen also ein Dokument von erstklassiger Bedeutung in einer schönen, treuen Ausgabe. Für die Geschichte der eingeborenen Völker von Paraguay ist dieses Dokument von einmaligem Interesse, und das allein macht es zu einer spannenden Lektüre. Aber es gibt auch sonst der unterhaltenden Geschichten genug — alle erzählt in dem wortreichen, gutmütigen Stil des P. Paucke. Man lese etwa auf S. 211 die Episode, wie sein Ordensbruder mit dem (in Europa damals noch nicht bekannten) Stinktier zusammengetroffen ist... I So wechselt eben Ernstes und Heiteres in diesem jesuitischen Lebenslauf vergangener Zeiten.

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