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HILDE BENJAMIN / HÜTERIN DES UNRECHTS

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„Es kamen die Herren Richter, denen sagte das Gelichter, Recht ist, was dem Volke nützt. Und so werden sie Recht sprechen müssen, bis das ganze deutsche Volk sitzt.“ Die der NS-Zeit gewidmeten Verse Brechts gelten heutigentags für die Deutsche Demokratische Republik, besonders aber, seit Justizminister Dr. Hilde Benjamin, die „rote Hilde“, von den Richtern „strengste Parteilichkeit“ verlangte. Menschen, die einmal einem der von ihr inszenierten Schauprozesse beiwohnten, bezeichnen sie als eine bösartige, virile Natter mit hervorquellenden Augen und schriller Stimme, den Angeklagten im internationalen Dschugaschwili-Rotwelsch einfach das Wort abschneidend, um schließlich, emp&rt.-genüßlich, das Todesurteil zu verkünden. Das ist die eine Seite der „roten Hilde“. Die andere ist: Erbaulichkeit durch Bach, Mozart und klassische Literatur. Sie hängt mit großer Liebe an dem in Moskau studierenden Sohn Mischa und am Alkohol.

Das Elternhaus war, wie bei vielen Renegaten, plüschbürgerlich gewesen. In Bernburg an der Saale 1902 geboren, besuchte sie das Gumbel-Lyzeum in Steglitz, von den Mitschülerinnen wegen ihres gelblichen Teints, dem asiatischen GesichtsschniU und blauschwarzen Zöpfen die „Inderin“ genannt. Auffällig war schon damals ihr scharfer Intellekt und der der Hohnrede fähige breite Mund. Der Vater, Freimaurer, diente im ersten Krieg als Korporal und wurde dann leitender Angestellter der Solvaywerke, was auch einer Schwester (Sportlehrerin) und dem Bruder (Pharmazeut) das Studium ermöglichte. Die zweite Schwester lebt in England. Sie studierte dann mit großem Eifer Jus in Heidelberg, Hamburg und Berlin und heiratete den jüdischen Arzt Dr. Walter Benjamin, einen überzeugten Kommunisten. Er ließ seine ärztliche K.tnst den Armen des Berliner Arbeiterviertels Wedding zuteil werden, sie verteidigte ihre Parteifreunde vor Gericht. 1933 wurde ihr Mann verhaftet und starb 1942 im KZ.

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Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Hilde Benjamin sofort als Staatsanwalt eingesetzt, wobei ihr ihre Verbindungen aus der früheren Tätigkeit für die sowjetische Handelsvertretung zugute kamen. Nach ihrer Ueber-siedlung aus dem amerikanischen in den sowjetischen Sektor wurde sie schon 1947 Personalreferentin der „Deutschen Zentralverwaltung für Justiz“ und Vorsitzende der Strafrechtskommission. Sie löste Volljuristen einfach ab und förderte die in Kurzlehrgängen ausgebildeten „Volksrichter“. Nach der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik erhielt sie das wichtige Amt eines Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes der DDR. In dieser Stellung leitete sie als Vorsitzende jene berüchtigten Schauprozesse, in denen u. a. auch die Kollegen ihres eigenen Vaters aus den Solvaywerken wegen „Sabotage“ zu schweren Strafen verurteilt wurden. 1952 wurde durch sie die Unabsetz-barkeit-der Richter beseitigt, die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und ähnliche Grundsätze. Die durch solche Maßnahmen bekannt Gewordene, ernannte Grotewohl nach dem Aufstand vom 17. Juni an Stelle Fechners schon im Juli zum Justizminister. In dieser Stelle, gefürchtet und verhaßt, beflügelt sie der Fanatismus zu Kraftakten, die mit den Geboten des Rechtes nicht vereinbar sind. Sie will, das ist ihr weitgestecktes Ziel, große Gebiete des Rechtswesens bis 3 963 als „soziales Rechtssystem“ neu aufbauen.

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