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Menschenschieksale nach 1945

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Ehrlicher, unmittelbarer und informativer als das meiste, das in den letzten Tagen und Wochen über das Ende des Zweiten Weltkrieges und das erste Jahrzehnt danach zu sehen und zu hören war, geriet die Präsentation der Ausstellung „Menschen nach dem Krieg - Schicksale 1945-1955” auf der niederösterreichischen Schallaburg.

Zwölf Niederösterreicher und zwei Besatzungssoldaten, die bereit waren, aus der Anonymität herauszutreten und ihr individuelles Schicksal anhand von Erinnerungsstücken und Video-Interviews auszubreiten, sind die Handlungsträger einer Szenerie, um die ergänzende Objekte der Weltgeschichte gruppiert sind. Die Universitätsprofessoren Gerhard Jag-schitz aus Wien und Stefan Karner aus Graz haben sie ausgewählt, der Architekt Carl Auböck hat die überlieferten Materialien eindrucksvoll zur Schau gestellt.

Was die aus allen sozialen Schichten stammenden 14 Personen erlebt haben, ist typisch für die Mehrzahl der Menschen in Österreich und für die nicht unbedingt als Befreier begrüßten alliierten Soldaten. Das erste geschilderte Schicksal betrifft Charles N. Beecham, einen amerikanischen Piloten, der Luftangriffe über Wien und Wiener Neustadt geflogen hat. Ein anderer: Leopold Figl, österreichischer Bundeskanzler der ersten Stunde, später Außenminister und als solcher Unterzeichner des 1955 geschlossenen Staatsvertrages. Als dritter wird Vassilij Ignatijevich Zavorot-nii vorgestellt, der aus einem ukrainischen Dorf stammt, als Ostarbeiter nach Deutschland verschleppt wurde, 1945 von der vordringenden Roten Armee eingezogen und nach Österreich abkommandiert wurde.

Beispiel Nummer vier ist Franz König, 1945 Kaplan an der Domkirche in St. Pölten und Religionsprofessor bei den „Englischen Fräulein” in Krems, der damals nicht ahnen konnte, einst Erzbischof von Wien zu werden.

Weitere Personen sind: Kurt Pfeiller, Bauingenieur aus Lunz am See, der über Betreiben der Besatzungsmacht Bürgermeister seiner Heimatgemeinde wurde, und Heinz Pall-wein, ein Lehrer, der das Ende des Krieges als amerikanischer Gefangener in Frankreich erlebt und als ehemaliger Parteianwärter vorübergehend aus dem Schuldienst in seiner

Heimatgemeinde Türnitz entfernt wurde. Außerdem: Johann Edler, ein 1942 zur Wehrmacht eingezogener Maurer. Er geriet in sowjetische Gefangenschaft, aus der man ihn erst 1949 entließ. Paula Langthaler, eine Kriegerwitwe mit zwei Kindern, blickt auf eine von zweieinhalb Jahren dauernde Ehe zurück, die in Wirklichkeit auf ein paar Wochen beschränkt blieb.

Eduard Hirschbach war 1945 ”erst neun Jahre alt und erinnert sich, seinen aus dem Krieg heimgekehrten Vater zunächst nicht erkannt zu haben. Gertrude Kirchner kam 1944 im

Rahmen der damals üblichen Kin-derlandverschickung in die Slowakei. Nach Kriegsende fürchtete sie sich vor betrunkenen amerikanischen Soldaten nicht weniger als Paula Langtha-ler vor den Rotarmisten.

Johann Buder, ein Kleingewerbetreibender, verlor im Krieg ein Auge. Anton Pemmer, ein Bauer aus Em-mersdorf, wurde als Kriegsversehrter vor schwierige Probleme gestellt. Er verstarb 1991. Seine Witwe dokumentierte seine Lebensgeschichte. Thomas Salzer konnte mit Hilfe des Marshallplanes seine Druckerei wieder in Betrieb nehmen und sich auf die freie Marktwirtschaft einstellen. Der Facharbeiter Franz Oberdorfer mußte 1945 erleben, wie das Werk, das er mitaufgebaut hatte, von der russischen Besatzungsmacht demontiert wurde.

Unter den Zeugnissen für die „Menschen nach dem Krieg” befinden sich die Bauernstube Figls aus Rust im Tullnerfeld, das Mobiliar, des späteren Kardinals König bei den „Englischen Fräulein” und das armselige Klassenzimmer des Lehrers Pallwein, ein nachgestellter Sturmangriff sowjetischer Soldaten und der Vogelkäfig des Kriegsgefangenen und künftigen Nobelpreisträgers Konrad Lorenz aus dem Lager Nr. 27 in Kras-nogorsk sowie Stahlhelme, Gewehre, Beinprothesen und ein Plakat des St. Pölt-ner Magistrats mit dem Hinweis „Lebensmittel nur für Arbeitswillige”.

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