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P. Daniel in der Löwengrube

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Erstmals wird in Großbritannien jemandem ein Prozeß für Kriegsverbrechen gemacht, die dieser als Nicht-Brite außerhalb des Landes beging.

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Erstmals wird in Großbritannien jemandem ein Prozeß für Kriegsverbrechen gemacht, die dieser als Nicht-Brite außerhalb des Landes beging.

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Wegen Großbritanniens einzigartigem „Sub Judice"- und „ Gerichtsverach -tungs"-Gesetz gegen Medien-Eingriffe in schwebende Gerichtsverfahren waren diverse Medienvertreter (darunter der Autor dieser Zeilen) schon vor Monaten bei einem äußerst dramatischen Ereignis, von dem überhaupt nichts in Großbritannien berichtet werden durfte und nichts berichtet wurde. Sie erlebten die sogenannten „Committal Pro-ceedings" der geschichtlichen Massenmord-Verhandlung gegen den jetzt 86jährigen Szymon Serafino-wicz, dem als ersten von einem britischen Gericht der Prozeß für Kriegs-verbrechen gemacht wird, die er außerhalb Großbritanniens beging, als er kein britischer Staatsbürger war. Dieser Prozeß wird Serafinowicz nach einem erst 1991 erlassenen britischen Gesetz gemacht. Die Hauptverhandlung beginnt Anfang Jänner 1997 vor dem berühmtesten Gericht der Welt, dem Londoner Kriminalgericht „Old Bailey".

Szymon Serafinowicz, ein Tischler im Ruhestand, wurde 1910 in Weißrußland geboren und lebt seit 1947 in Großbritannien. In den Jahren 1941 und 1942 befehligte er eine weißrussische Hilfspolizeitruppe, die von den deutschen Besatzern organi siert wurde und „Jagdzug" hieß. Es besteht nicht der geringste Zweifel darüber, daß Serafinowicz zwischen November 1941 und März 1942 mindestens drei Massenerschießungen von jüdischen Männern, Frauen und Kindern kommandierte - in drei kleinen weißrussischen Städten, die von der deutschen Armee besetzt waren.

Nach britischem Recht muß in einer „Committal Proceeding" genannten Vorverhandlung ein Bezirksrichter entscheiden, ob der Staatsanwalt genügend Beweismaterial für ein höheres Gericht hat. Diese Vorverhandlung ist der Öffentlichkeit und Medienvertretern zugänglieh, es darf aber darüber in Großbritannien nicht berichtet werden, um die Geschworenen in der späteren Hauptverhandlung nicht zu beeinflussen. Daher dürfen die Medienvertreter bei der Vorverhandlung in Großbritannien nicht berichten, was sie sehen und hören. Wie sehr vieles in Großbritannien ist das einzigartig.

Die Veröffentlichung in Großbritannien von „Sub Judice"-Material, zu dem die gesamte Vorverhandlung gehört, wäre „Gerichtsverachtung" -ein schweres Verbrechen, das mit Gefängnis für daran beteiligte Journalisten und mit gigantischen Geldstrafen für die Medieneigentümer bestraft wird. Der britische Attorney General, ein Kabinettsminister, warnte alle britischen Nachrichtenmedien formell, daß sie nichts über die Vorverhandlung berichten dürften. Diese Vorverhandlung war in der kleinen englischen Stadt Dorking, deren Bezirksgericht für das britische Dorf zuständig ist, in dem Serafinowicz seit vielen Jahren lebt. Bisher durfte nur die formelle Anklageschrift in Großbritannien veröffentlicht werden. Laut ihr ermordete Serafinowicz drei unbekannte Juden in drei weißrussischen Städten. Die britischen Nachrichtenmedien wurden wegen „Sub Judice" ausdrücklich gewarnt, nicht zu veröffentlichen, daß jeder dieser drei Morde nur ein winziger Teil einer Massenerschießung von Hunderten jüdischen Männern, PVauen und Kindern war.

Der Hauptzeuge ist der 74jährige, weißbärtige Oswald Bufeisen, jetzt Pater Daniel, ein katholischer Priester und Mönch im Karmeliterkloster Stella Maris am Berg Karmel in Haifa in Israel.

Er ist in Israel sehr bekannt, weil er israelische Bechtsgeschichte schrieb: In einem historischen Verfahren entschied der israelische Oberste Gerichtshof, daß ein Jude, der zum Christentum übergetreten ist, in Israel im Bahmen des Bückkehrergesetzes nicht als Jude betrachtet werden kann, was Bufeisen vom Obersten Gerichtshof verlangt hatte. Doch in derselben Entscheidung drückte der Oberste Gerichtshof seine Bewunderung dafür aus, daß Rufeisen sein eigenes Leben riskierte, um andere Juden zu retten, erklärte, daß er in Israel leben darf und empfahl ihm, durch Naturalisierung israelischer Staatsbürger zu werden, was er tat.

Die Bedeutung seines Namens als Mönch und Priester, Pater Daniel, kommt aus der biblischen Geschichte von Daniel in der Löwengrube. Im Bezirksgericht von Dorking wurde er nur Pater Daniel genannt.

Als junger Oswald Bufeisen mit gefälschten Papieren war er der persönliche Dolmetscher des Hilfspolizei-Kommandanten Serafinowicz, der ihn für einen „arischen" Volksdeutschen hielt. Zusammen mit Serafinowicz war Rufeisen bei allen drei Massenerschießungen, für die Serafinowicz in London der Prozeß gemacht wird.

Ich saß nur zwei Meter von Serafinowicz, als Pater Daniel zum ersten Mal das kleine Bezirksgericht in Dorking betrat. Es war total offensichtlich, daß Serafinowicz nach 54 Jahren seinen Dolmetscher erkannte und höchst erregt war. Diese einzigartig dramatische Szene durfte in Großbritannien nicht berichtet werden. Die

Gesetzeslage verhinderte auch irgendwelche Berichte oder Artikel über Pater Daniel in Großbritannien - sogar wenn seine Verbindung mit Serafinowicz überhaupt nicht erwähnt werden würde. Der Staatsanwalt John Nutting, Sohn eines berühmten konservativen Ministers, erzählte mir: „Mit 52 Jahren mußte ich zum ersten Mal ein Fachmann über Massenerschießungen werden wie man einer Frau ein Bein aufhebt um zu erkennen, ob sie schon tot ist

Pater Daniel weiß, daß er Anfang Jänner in London ein äußerst scharfes und für ihn sehr schmerzvolles Kreuzverhör des Verteidigers aushalten muß. Darüber sagt er: „Es ist meine Pflicht zu den Ermordeten.

Der Autor lebt als freier Journalist in London.

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