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Richard Schmitz

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Als Richard Schmitz am 27. April d. J. in die Ewigkeit ging, wehte ke ?ne schwarze Fahne vom Turme des Wiener Rathauses, in dem er vom 4. Mai 1919 bis 1924 als frei gewählter Gemeinderat und in der tragischen Zwischenperiode von 1934 bis 1938 als kommissarischer Bürgermeister gewirkt hatte. Die Fahne wäre am Platze gewesen, hätte es nicht einer alten Verfügung entsprochen, daß Trauerfahnen auf dem Wiener Rathause nur beim Ableben in Funktion stehender Gemeinderäte und Bürgermeister gehißt werden. So sei denn hier aus Anlaß einer bedeutungsvollen Feier des Hauses „Herold", in dem Richard Schmitz vor Abschluß seiner irdischen Laufbahn durch mehr als sieben Jahre, zurückgezogen vom öffentlichen Leben, für Volk und Vaterland gewirkt hat, dem Toten ein ehrendes Gedenkwort gewidmet.

Nur knappe vier Jahre ist Richard Schmitz als kommissarischer Bürgermeister an der obersten Stelle der hauptstädtischen Gemeindeverwaltung tätig gewesen. Das war keine Zeit der geruhsamen Freude und der Feste: schon lange war es her, seit kein Bürgermeister der Stadt eine mit so viel widrigen Umständen, Unfriede und Sorge angefüllte Amtszeit zu durchstehen hatte. Als Richard Schmitz 1934 in das Wiener Rathaus entsandt wurde, fand er das große Gemeinwesen in eine von Gefahren befallene politische Szenerie versetzt. Ihm war es beschieden, mit härtesten Aufgaben ringen zu müssen. Politisch geschult wie nicht bald einer, streng gegen sich selbst in seiner Pflichterfüllung, übersah er ohne Illusion die gegebenen Tatsachen. Seine arbeitsfreudige Natur begegnete ihnen mit einem sehr realen Schaffenswillen.

Die Mitte der dreißiger Jahre legte überall den öffentlichen Verwaltungen schwere Fesseln an. Die Weltwirtschaftskrise hatte mit verheerenden Stößen auch Oesterreich betroffen. Große Finanzinstitute waren gestürzt und hatten viele Privatunternehmungen mit in ihr Unglück gerissen. Die öffentlichen Einnahmen gingen zurück, der Kredit war teuer, die Investitionstätigkeit war gehemmt. Auch die Stadt Wien litt unter diesen Einwirkungen. Den Schwierigkeiten trotzend, setzte der Bürgermeister alles ein, um seinen Lieblingsgedanken zu verwirklichen: die Rettung von in ihrer Existenz durch das Wohnungselend bedrohten Familien. Trotz der prekären Finanzlage setzte er 1934 die sofortige Schaffung von tausend Wohnungen zur Sanierung der dringendsten Fälle solcher Art zum Ziel. Das erste dieser Familienasyle war 1935 der große Bau von „St. Brigitta" in der Adalbert-Stifter-Straße im 20. Bezirk, 216 Wohnungen umfassend, die gegen ganz geringe Miete vergeben wurden. Im gleichen Bezirk entstand in kürzester Frist „St. Leopold" mit 114 Wohnungen. In rascher Folge reihte sich „St. Josef“ im 10. Bezirk mit 111 Wohnungen an, „St. Engelbert“ mit 166 Wohnungen im 15. Bezirk, im 21. Bezirk „St. Anna" mit 91 Wohnungen, in Ottakring „St. Elisabeth“ mit 74 Wohnungen, als siebentes Familienasyl in der Einsiedlergasse in Margareten das Asyl „St. Richard“ mit 75 Wohnungen und als achtes im 10. Bezirk, Buchsbaumgasse, ein Bau mit 240 Wohnungen als Familienasyl. Um was es mit allen diesen Bauten ging, war nicht normaler Wohnungsbau, sondern diese Heimstätten sollten äußerste Notstände der Großstadt beheben und solche Familien aufnehmen, die schuldlos brüchig geworden, von Delogierung und sozialem Abgleiten bedroht waren, für sich noch eine Rettung hoffen ließen. Innerhalb zwei Jahren war der Vorsatz, mit dem Richard Schmitz in sein Amt eingetreten war, erfüllt.

Alle diese Heime standen unter der Leitung einer Fürsorgerin; Frauen und heranwachsenden Mädchen wurde Gelegenheit gegeben, das Kleidermacken und Weißnähen zu lernen. Neben dem Bau der Familienasyle wurden zur selben Zeit durch ckn schon längst fälligen Umbau des

Freihauses und anderer baulicher Umformungen dem Wiener Wohnungsmarkt über 1300 Wohnungen zugeführt.

Nie wird man von dieser Periode der Wiener Verwaltung sprechen können, ohne ihrer berühmt gewordenen Schöpfung, des Baues der Höhenstraße durch den Wald- und Wiesengürtel der Stadt, zu gedenken. Diese Anlage als eine Straße für reiche Autobesitzer und sonst nichts hinstellen zu wollen, kann nur einer abwegigen Kritik Vorbehalten sein. Diese Straße mit allen ihren Seitenanlagen ist aus dem Wiener Stadtbild ebensowenig mehr wegzudenken wie die Wientalstraße, die ein neues schönes Tor der Großstadt geschaffen hat. Vor allem die Höhenstraße, von der aus sich eine Schau enthüllt, die nicht ihresgleichen hat in den europäischen Großstädten, ist ein kostbarer, auch wirtschaftlich beachtlicher Besitz geworden. Es würde sich einmal lohnen, den Fremdenverkehr, der sich über diese Straßenbänder entrollt, statistisch zu erfassen. Leider ist die Engelbert-Statue, die seinerzeit von den Nationalsozialisten an dieser Straße entfernt wurde, noch immer nicht wiederaufgestellt worden; es wäre Sache der Kahlenberg AG., dieses Unrecht wiedergutzumachen. Hoffentlich wird eine hierfür schon gegebene Zusicherung bald erfüllt.

Soll ich noch von dem sonstigen Schaffen, das unser Richard Schmitz zum Wohle der Stadt entfaltete, sprechen? Von der Regu lierung des Straßennetzes, der Erneuerung des Kanalsystems, der Schaffung von Stadtrandsiedlungen, in denen über 2000 Siedlungshäuser erstanden, von der Erneuerung des Wasser- rohrnetzös, der Schaffung neuer Grünflächen, so der Donaupromenade von Nußdorf bis Kahlenbergerdorf und längs des Donaukanals sowie der Lagerwiesen im Wienerwald und im Ueber- schwemmungsgebiet? Die Errichtung des Großwasserspeichers in Lainz hat die Wiener Bevölkerung in kritischer Wassernot vor einigen Jahren wahrscheinlich vor einer gesundheitlichen Katastrophe bewahrt.

Es war eine von tiefer Tragik umdüsterte

Zeit, in der Richard Schmitz die oberste Hut von Wien anvertraut war. Der unter Hitler über ihn selbst und seine Familie hereinbrechenden fremden Gewalt begegnete er als ganzer Mann. Die damaligen Machthaber rechneten es ihm schwer an, daß er in der Nacht vom 12. zum 13. März 1938, in der alle Bande der Ordnung versagten und man auf revolutionäre Gewalttaten gefaßt sein mußte, dem Werkschutz aus der Arbeiterschaft der Gas- und Elektrizitätswerke zur Sicherung der lebenswichtigen kommunalen Großwerkstätten Waffen in die Hand gegeben hatte. Daraus’ leitete die Gestapo gegen ihn in Dachau die Anschuldigung ab. er habe Anstalten zum Bürgerkrieg gegen die nationalsozialistische Erhebung getroffen. Ein halbes Jahr, lang haben sie ihn dafür bei verkürzter Kost in Dunkelhaft des Dachauer Bunkers gehalten. Aber auch noch als Gefangener war er in seiner Haltung der Bürgermeister von Wien. So haben ihn alle seine Schicksalsgenossen gekannt, und auch bisherige politische Gegner erwiesen ihm dafür Achtung. In der Lagerstraße von Dachau war es an manchem Sonntag ein vielsagendes Bild, wenn man neben dem gewesenen kommissarischen Bürgermeister von Wien im intimen Gespräch Major Eisler, den gewesenen Kommandanten des Republikanischen Schutzbundes, dahinschreiten sah.

Dem Arbeiter und Schaffer im Dienste der Stadt Wien sind wir noch manchen

Dank schuldig geblieben.

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