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Schleichwerbung fürs Fliegen in vollcomputerisierten Maschinen

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Michael Crichton weiß, wie man Buchleser so fesselt wie . T JL ein Kinopublikum. Immerhin schrieb er den Boman, nach dem „Jurassic Park“, einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten, gedreht wurde. Nach seinem neuesten Boman, „Airframe“, wird zwar kaum ein Su-perseller gedreht werden, aber wem es nicht auf Literatur ankommt, sondern auf Spannung, und wer sich vielleicht obendrein für die Zusammenhänge zwischen Deregulierung und Flugsicherheit interessiert, der ist mit „Airframe“ (das Wort bezeichnet die Zelle, das Flugzeug ohne die Motoren) nicht schlecht bedient. DasThema fasziniert ja immer wieder.

Der Zwischenfall, den Crichton konstruiert, ist aus etlichen im Gedächtnis vieler Zeitungsleser haften gebliebenen Puzzlestücken zusammengemixt. Eine Großraummaschine aus Hongkong landet, nachdem sie über dem Pazifik heftig „getümmlert“ hat (worunter man eine Folge unfreiwilliger Sturzflüge und ebenso unfreiwilliger Aufwärtsbewegungen ver steht, bei der in der Kabine alles durcheinandergewirbelt wird), mit drei Toten und vielen Verletzten an Bord in Los Angeles. Der kalifornische Erzeuger will gerade mit China ins Geschäft kommen, ein Fernsehsender, der gerade kein besseres Thema zur Hand hat, will den Flugzeugtyp als Todesfälle brandmarken, die für die Aufklärung derartiger Zwischenfälle zuständige Vizedirektorin steht unter gewaltigem Zeitdruck. Gefälschte Originalersatzteile (sehr aktuell!) führen die Techniker auf falsche Spuren. Die Betätigungsmechanismen für den Vorflügel und die Schubumkehr (Lauda-Absturz!) geraten unter Verdacht. Auch für das, was sich dann herausstellt, gibt es Vorbilder: Der chinesische Flugkapitän hat seinem Sohn, der zwar ebenfalls ausgebildeter Pilot ist, aber keine Zulassung für diese Flugzeugtype hat, das Steuer übergeben und sich auf einen Kaffeeplausch zu den Stewardessen begeben. (In Rußland stürzte bekanntlich ein Großflugzeug ab, weil der Kapitän seine Kinder ans Steuer ließ.) Was dann geschieht, ist geradezu klassische Schleichwerbung für das computerisierte Fliegen: Ein Anzeigeinstrument täuscht (durch den Temperaturwechsel bedingt - eine bis dahin nicht beobachtete Reaktion der Steuerhydraulik auf plötzlichen Temperaturwechsel brachte in den USA zwei landende Maschinen zum Absturz) dem unerfahrenen Piloten eine unbeabsichtigte Betätigung der Vorflügel vor, er gerät in Panik, reißt die Steuerung an sich, korrigiert die Bewegungen des Flugzeuges zu heftig - erst nachdem er bewußtlos geworden ist, übernimmt die Automatik wieder das Steuer und stabilisiert den Flug. Es ist also auch hier wieder einmal der Mensch schuld und nicht die Technik. Daß in mindestens einem Fall (Airbus-Bruchlandung in Warschau) ausschließlich die Computerisierung zum Crash führte, wird nicht erwähnt. Auf Seite 119 läßt Übersetzer Klaus Berr übrigens einen Piloten im Simulator einen argen Fehler begehen.

Es ist Crichton positiv anzurechnen, daß er ohne die in solchen Büchern obligate Love Story von der Stange auskommt. Typisch für die Matadore des seriösen Trivialromans von Grisham bis Ridpath ist mittlerweile der gesellschaftskritische Unterton. Was Crichton über den heutigen Interviewstil von TV-Journalisten schreibt, kann auch der heimische Fernsehkonsument mittlerweile des öfteren bestätigen, diese Sätze sind zitierenswert:

„Sie suchten weniger Information als Hinweise auf eine Gaunerei. Und deshalb begegneten sie dem Standpunkt des Gesprächspartners mit offener Skepsis, da sie ja von vorne herein davon ausgingen, daß er nur Ausflüchte machen wollte. Überall witterten sie Schuld, es herrschte eine Atmosphäre von unterschwelliger Feindseligkeit und Argwohn. Diese neue Art des Interviews war extrem persönlich: Der Journalist wollte einen in die Falle laufen lassen, wollte einen bei einem kleinen Fehler, einer törichten Aussage ertappen - oder auch nur bei einer Formulierung, die man aus dem Kontext gerissen als lächerlich oder gefühllos hinstellen konnte. Da aber das Augenmerk so stark auf das Persönliche gerichtet war, wollten die Reporter möglichst viel persönliche Spekulation hören. Glauben Sie, daß dieser oder jener Vorfall sich, nachteilig auswirken könnte? Glauben Sie, daß die Firma leiden wird?

Solche Spekulationen waren für eine frühere Journalistengeneration ohne Bedeutung gewesen, denn sie hatte sich auf das zugrundeliegende Ereignis konzentriert. Der moderne Journalismus war äußerst subjektiv -interpretierend' -, und sein Lebenselixier war die Spekulation.“

AIRFRAME

Roman von Michael Crichton. Karl Messing I“erlag. München 1997. WM 446 Seiten, geh., öS 529, -

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